Nach dem neuerlichen Giftgasvorfall in Syrien sind die Fronten schnell geklärt: obwohl alles andere als klar ist, was da passiert ist, ist für die deutsche Qualitätspresse klar, dass Assad der Täter ist. Selbst das Wort „mutmaßlich“, bei den widerlichsten Vorfällen, bei denen alles klar ist, bis zur Urteilsverkündung sorgfältig in Berichten genutzt, wird inzwischen meist fortgelassen.
Zutrauen kann man den Giftgaseinsatz vermutlich jeder Partei. Schaut man sich die aktuelle Lage an, hat Assad allerdings kaum einen Grund dazu. Er gewinnt zunehmend die Initiative zurück, hat Unterstützung durch Russland, Iran und China und weiß genau, mit welchen Folgen er zu rechnen hat, wenn er solche Mittel einsetzen würde. Auch für Verhandlungen ist er wesentlich aufgeschlossener als seine Widersacher.
Nach seiner Version haben seine Bomber ein Lager mit chemischen Kampfstoffen der Rebellen getroffen. Diese Version ist durchaus glaubwürdig. Bei früheren Chemiewaffeneinsätzen, bei denen auch sehr schnell Assad als Verursacher feststand, konnte allerdings durch chemische Signaturen und andere Mittel nachgewiesen werden, dass die Chemikalien aus einem verdeckten Deal des türkischen Geheimdienstes mit dem IS stammten. Obama, gerade noch gewarnt von seinen Geheimdiensten, ruderte schneller zurück als der Deutschlandachter, und unsere Qualitätsmedien verfielen in tiefes Schweigen, war der Schuldige doch in den eigenen Reihen zu finden. Es ist daher durchaus wahrscheinlich, dass den Rebellen immer noch diese Mittel zur Verfügung stehen und hier tatsächlich als Kollateralschaden zur Wirkung kamen.
Verlässliche Nachrichten aus den Gebieten gibt es nicht, denn Journalisten sind dort aus gutem Grund nicht zu finden. Berichtet wird von Rebellenmedien, die aus Mitteln der westlichen Ländern finanziert werden, aber dem IS erstaunlich nahe stehen und immer wieder bei Schummeleien aufgefallen sind. So mit Fotos von verstörten Kindern, die aber mutmaßlich weniger durch den Krieg als dadurch verstört waren, dass sie, zusammen mit dem Berichterstatter, dem hier absolute Seriosität zugestanden wird, am Köpfen einen Kindes durch den IS teilnehmen mussten (Bericht im FS). Oder mit den hochgestellten Bussen, die als „Kunstwerk“ in Dresden kopiert wurden, jedoch aus genau dem gegenteiligen Grund aufgerichtet wurden, als später behauptet. Dabei wäre Embedded-Journalism vermutlich sogar möglich, denn die russischen Streitkräfte könnten Journalisten wie westliche Armeen integrieren, und die Russen könnten sogar ein Interesse daran haben, dass nicht nur einseitige Lügen verbreitet werden. Allerdings haben unsere Leute daran nun gar kein Interesse, denn der Gau wäre, wenn Assad auf einmal gar nicht mehr so böse ist, wie man ihn gerne hätte.
Überhaupt muss man zum Assad-Regime sagen, dass nach wie vor ca. 50% der Syrer auf seiner Seite sind (wenn nicht inzwischen mehr). Die verschiedenen christlichen Lager sowie auch die dem Wahabbismus fernstehenden moslemischen Richtungen sind nämlich alles andere als begeistert von der Rebellion, bei der sich die hier gerne als „Gemäßigte“ bezeichneten Gruppen für die Leute vor Ort kaum vom IS unterscheiden. Sie wissen genau, dass es allen nichtextremen Moslems an den Kragen geht, setzt sich so etwas wie der IS oder seine „gemäßigten“ Varianten durch. Assad ist das deutlich kleinere Übel. Aber das wird von den westlichen Regierungen nicht gerne gesehen. Menschen sind den sich gerne in Humanitätsgesäusel ergehenden Leuten wie Merkel & Co ziemlich egal, nachzuvollziehen auch am „Angriff“ der USA auf einen syrischen Militärflughafen. Die USA befinden sich nicht im Krieg (nur in einem Stellvertreterkrieg) mit Syrien, d.h. eine solche Handlung ist durchaus mit dem Überfall auf Polen zu vergleichen, und auch Trump gehört damit wie seine Vorgänger an den Galgen, würde man die nürnberger Gesetze mal anwenden wollen.
Dem Westen kommt die Giftgassache gerade Recht, lässt sich doch nun wirksam jede weitere Verhandlung unterbinden. Der Westen war gewissermaßen im Zugzwang, da sich die von ihm unterstützten Gruppen Verhandlungen entzogen. Jetzt steht der Kurs wieder voll auf Konfrontation, fallen wahrscheinlich wieder Hemmungen, die so genannten Rebellen wieder aufzurüsten, um den Krieg fortzusetzen. Wer gewinnt am Ende? Das kann sich noch eine Weile hinziehen, aber wenn die Achse Türkei-EU-USA-Saudi Arabien Erfolg hat, Assad verhandlungslos verschwindet und „genmäßigte“ Oppositionsgruppen das Sagen übernehmen, wird man mit ziemlicher Sicherheit nach kurzer Zeit feststellen, eine leichte Erkältung mit der Pest bekämpft zu haben: wie angemerkt, steht die Hälfte der Bevölkerung noch zu Assad, und fällt der Schutz durch ihn weg, kann es durchaus im Interesse der Islamisten dort und in der Türkei liegen, einen Großteil dieser Leute organisiert in Richtung Europa in Bewegung zu setzen. Die derzeitigen Flüchtlingsprobleme wären in diesem Fall noch nicht einmal ein Vorgeschmack auf das, was dann kommen könnte.
Nur eine mögliche Entwicklung. Aber jeder sollte sich wirklich überlegen und sich schlau machen, ob es faktisch und nach pragmatisch bewerteten Wahrscheinlichkeiten Verdummungspropaganda ist, was uns da vorgesetzt wird.