Fake News

Jetzt wird’s kompliziert. Renate Künast hat Strafanzeige wegen einer ihr in den Mund geschobenen Meldung erstattet, die nicht von ihr stammt. Facebook, auf dem die Meldung erschienen ist, hat drei Tage benötigt, die Meldung zu löschen. Und natürlich plustern sich auch die Medien auf bis hin zu „die Leute sollen sich umgehend aus sozialen Netzwerken abmelden und wieder Zeitung lesen“. Klar, würde ich auch so machen, wenn mir die Leser weglaufen.

Da steckt nun einem Menge Zündstoff drin, wenn man genau hinschaut:

(1) Gegen wen hat Frau Künast eigentlich Strafanzeige erstattet? Wenn man ins Internet schaut, hat laut tagesschau.de Frau Künast Anzeige gegen wen auch immer erstattet, laut rp-online gegen die Betreiber der Facebook-Unterseite und unbekannt, wenn man sich deutschlandfunk anhört, anscheinend gegen facebook direkt, wobei die allerdings auch nur irgendwen zitieren. Liebe Presse, könnt ich euch nicht mal wenigstens einig werden, bevor ihr die Leute auffordert, andere Meldungen als eure nicht mehr zur Kenntnis zu nehmen? Was ist den bei euch jetzt die Falschmeldung?

(2) Große Empörung anscheinend auch gegen facebook, weil drei Tage benötigt wurden, die Meldung zu löschen. Andernorts wurde in anderem Zusammenhang berichtet, dass facebook mit hohen Strafzahlungen gedroht wurde, wenn das nicht schneller geht. Aber: muss facebook nicht auch erst einmal prüfen, ob die Anzeige nicht der Fake ist? Sonst könnte man ja beliebige Meldungen aus dem Netz löschen lassen,weil die einem nicht passen, und eine Frau Künast ist grundsätzlich erst einmal nicht vertrauenswürdiger als Henrike Schnabeltasse. Oder ist Zensur genau das Ziel? Facebook und andere soziale Medien haben auf Verlangen von Politikern (MdB-Ausweis genügt) ohne Nachfrage und Nachprüfung alles zu Löschen, was den Damen und Herren missfällt?

(3) Nun, im Fall Künast mag die Sachlage eindeutig sein. Das gefälschte Zitat bezog sich auf die Süddeutsche Zeitung, und das lässt sich in der Tat leicht prüfen. Auf facebook gehen allerdings vermutlich derzeit viele solche Meldungen ein, die erst einmal geprüft werden müssen. Auch ein Konzern wie facebook hat nur begrenzte Ressourcen. Geht hier eine Beschwerde einer Frau Künast vor? Oder ist das Anliegen besagter Henrike Schnabeltasse, die als Nutte mit einem gefälschten Foto bezeichnet und so in ihrer Existenz bedroht wird, nicht vergleichsweise wichtiger? Immerhin wird die Richtigstellung der Künastmeldung ja so breit durch die Medien dargestellt, dass sie zwar 3 Tage wütend sein kann, aber im Gegensatz zu Frau Schnabeltasse keine dauernden Schäden zu befürchten hat. Als Unternehmen kann man die Meldungen nur nach „first in, first out“ bearbeiten und nicht auch noch Politikerbonus verteilen.

(4) Überhaupt stellt sich die Frage, wer zur Verantwortung gezogen werden kann. Der Urheber der Falschmeldung? Die Teilseitenbetreiber? Facebook? Bislang war die Rechtslage klar: der Urheber trägt die Verantwortung. Das ist auch kein großes Problem, denn facebook ist letztendlich so strukturiert, dass man schon eine ganze Menge Aufwand betreiben muss, um anonym zu bleiben. Jedenfalls mehr Aufwand, als die meisten normalen Nutzer in der Lage sind zu leisten, schon weil sie die Internetstrukturen unzureichend verstehen. In Sachen Internetmeldungen geht der Trend allerdings (schon lange) anscheinend dahin, die gesamte Kette zur Verantwortung zu ziehen. Nach aktueller Rechtssprechung ist ein Seitenbetreiber verpflichtet, eindeutige Falschmeldungen innerhalb einer angemessenen Frist zu löschen, aber nicht, die Korrektheit vor Veröffentlichung zu prüfen. Verschärft man das und nimmt im Falle Künast alle in Gruppenhaftung, läuft dies letzten Endes läuft die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung hinaus. Überspitzt formuliert, müsste ein Schüler in einer Mathearbeit die Aufgabe „5+3=?“ auch mit „mein Lehrer hat mir ein Ergebnis gesagt, ich habe das aber noch nicht verifiziert“ beantworten können und dürfte das nicht als Fehler angerechnet bekommen.

(5) Überhaupt ist das Löschen von Nachrichten eine Grauzone. Was ist eine Hassnachricht? Manchmal ist die Sachlage klar, aber immer? Der Betreiber einer Seite hat als Hausherr natürlich das Recht, nur das zuzulassen, was ihm passt, aber was ist, wenn das, was ihm passt, einer Frau Künast nicht passt? Wer entscheidet? Die Rechtslage ist klar: derjenige, dem das nicht passt, darf ein Gericht bemühen, und das entscheidet. Aber anscheinend passt das dem, dem die Nachricht nicht passt, nicht. Der Trend geht in Richtung einer „unabhängigen Kommission“, die aus Leuten besteht, die der, dem das nicht passt, bestimmt hat (so unabhängig ist die), und die entscheidet. Ob ein Einspruch möglich ist, geht aus den Plänen nicht so genau hervor (vermutlich eher nicht), aber das ist ein schwerer Verstoß gegen das grundgesetzliche Rechtsstaatsprinzip: nicht der, der sich zu Recht oder Unrecht verletzt fühlt, muss gegen einen Verstoß gegen die Meinungsfreiheit klagen, sondern derjenige, der seine Meinung frei äußern will, muss klagen, damit er das auch kann. Von Waffengleichheit – Frau Künast mit der geballten Macht des Bundestages gegen die Verkäuferin Frau Schnabeltasse – kann dabei keine Rede sein.

(6) Wenn man ein wenig weiter denkt, kann das noch komplizierter werden: was ist, wenn der Betreiber einer Seite einen Beitrag von Frau Künast aufgrund einer Beschwerde löscht? Will die ihn dann zwingen, den Beitrag wieder einzustellen? Gerichtlich funktioniert das sicher nicht, aber wenn man ohnehin schon Regeln macht, die Gerichte umgehen, warum nicht gleich auch Regeln in Richtung Staatspropaganda?

(7) Auch die Presse, die sich nun wieder als Alleinvertretung der Wahrheit aufplustert, muss man an dieser Stelle betrachten. Warum trägt sie den Ehrennamen „Lügenpresse“? Vorsätzliche Lügen sollte doch gerade sie wirklich nicht verbreiten. Da stellt sich die Frage, was Lügen in diesem Zusammenhang sind, und das findet man gleich zwei Sachen:

a) Die Medien filtern ziemlich rigoros die Fakten: die Fakten, die ins ideologische Programm passen, werden veröffentlicht, die Fakten, die nicht geeignet sind, die gewünschte politische Botschaft (der natürlich völlig unpolitischen und unabhängigen Presse) transportierten, werden nicht gebracht. Das fängt an beim krampfhaften Verschweigen bestimmter Umstände bei Straftaten (der geneignte Leser kann inzwischen am Vorhandensein des Wortes „rechtsextrem“ mit ziemlicher Sicherheit darauf Rückschlüsse ziehen, ob es sich bei einem Schläger um einen Deutschen oder einen Araber handelt) bis hin zur völligen Einseitigkeit bei großen politischen Zusammenhängen (der böse Assad, Putin und Iran; die Finanziers und Mitbomber USA, Saudi Arabien und die EU werden grundsätzlich nicht genannt). Das Verschweigen des Mordes an der Studentin in Freiburg wird mit „Regionalnachricht“ entschuldigt, eine begrenzte Tsunami-Warnung der neuseeländischen Behörden sind andererseits anscheinend nicht Regionalnachrichten. Was die Medien anscheinend immer noch nicht begriffen haben: diese Filterung ist in Internetzeiten immer seltender erfolgreich durchzuhalten und hat den Medien den Ehrentitel verschafft. Selbst wenn es jetzt heißt „glaubt nicht den sozialen Medien“, ist das immer noch kein Grund, den Medien (wieder) zu vertrauen.

b) Die Medien kürzen die Nachrichten. Müssen sie. Die komplette 2-stündige Rede von Außenminister Steinmeier hört sich keiner an, schon alleine weil das physisch unmöglich ist, denn jeder normale Mensch ist bei seinem Sprechstil nach spätestens 3 Minuten in einen Tiefschlaf hinübergedämmert. Aber was kürzen sie? Ein Beispiel einer Rede von Angela Merkel. Sinngemäß sagte sie

„Ausländer sind statistisch häufiger Straftäter als Deutsche. Das müssen wir bei Maßnahmen berücksichtigen, und wenn uns die Statistik hier nicht passt, müssen wir das aushalten.“

Später erschien allerdings (nicht in der Presse, aber die Methode ist an diesem Beispiel eben gut verständlich)

„Ausländer sind Straftäter, das müssen wir aushalten.“

Nichts, was sie nicht gesagt hätte, aber die Sinn ist vollständig ins Gegenteil verkehrt. Leider, wenn man sich die Mühe macht, nach den Quellen von Nachrichten zu suchen, eine Standardmethode der Medien. Das ist wie „stille Post“: jemand sagt etwas, das im Flüsterton weiter gegeben wird, und wenn es in den Medien erscheint, ist auf einmal jemand Judenhasser, Fremdenhasser, Islamhasser oder Nazi und wird gesellschaftlich gemobbt (nicht selten physisch vernichtet), obwohl er zwischen Nichts und einer gerechtfertigten Kritik geäußert hat. Das ganze von einer Presse, die weder richtigstellt (höchstens auf richterliche Anordnung auf Seite 37 einspaltig zwischen den Pornoanzeigen) noch sich entschuldigt. Durch das zusammen mit a) hat sich die Presse den Ehrentitel nicht nur verdient, sondern sogar ehrlich verdient.

Schlussfolgerung. Man darf den Künasts hier nicht das Feld überlassen, wenn man noch einen Rest der ersten Grundgesetzartikel bewahren will (in Bezug auf verschiedene Sachen sind die ohnehin schon ausgehölt genug), und das verlangt ein anderes Verhalten der Internetnutzer. Leider beobachtet man in der Tat, dass viele bedenkenlos irgendetwas von sich geben, was bei näherer Betrachtung nicht plausibel ist. Wenn man eine Nachricht in einem sozialen Netzwerk findet, sollte man wenigstens von Fall zu Fall prüfen, ob das sein kann oder nicht. Im Fall Künast faktisch einfach, aber andererseits besteht bei ihr das Problem wiederum darin, dass man ihr eine solche Aussage nicht ganz zu Unrecht zutrauen kann.

Wenn ein solcher Fake erscheint und die ersten Kommentare sind „Fake, auf der SZ nicht zu finden“, erübrigt sich das Künastgeschrei weitgehend. Bei anderen Meldungen ist das weniger einfach zu kontrollieren, aber meist machbar. Das verlangt aber Pragmatik vom Nutzer, und die darf man derzeit leider wirklich bezweifeln, und selbst eine eindeutige Quellenlage bringt viele Leute nicht dazu, das Posten völligen Blödsinns zu unterlassen. Selbst hochintelligente und studierte Leute verlieren schlagartig die Fähigkeit, Texte zu lesen, wenn dort etwas drin steht, was ihrer Ideologie widerspricht. Graben wir uns selbst das Zensurgrab?