Wer Kenntnis von einer möglichen Straftat hat, hat Anzeige zu erstatten. Das kann bei einer beliebigen Polizeidienststelle, Staatsanwaltschaft oder Meldeportalen im Internet erfolgen. Dabei hat man den Sachverhalt und den vermuteten Straftatbestand zu erläutern, wobei ein Verweis auf die Strafrechtsparagraphen natürlich nicht notwendig ist, die suchen sich die Juristen selbst heraus.
Gemäß §143 Gerichtsverfassungsgesetz ist die Staatsanwaltschaft im Gerichtsbezirk des Beschuldigten für die Ermittlungen zuständig. Es gibt zwar Ausnahmen, die aber nur komplizierte Fälle betreffen, in denen spezialisierte Staatsanwaltschaften zuständig werden können, wenn der Generalbundesanwalt darüber befindet. Die Formulierungen betreffen jedoch Einzelfälle, jedoch nicht eine Generalvollmacht.
Die Länder haben neben den bekannten Denunziationsportalen auch spezielle Staatsanwaltschaften geschaffen, bei denen „Hasskriminaltät im Internet“ gemeldet werden kann. Nach §143 GVG können Verfahren nur in definierten gesetzlichen Fällen auf andere Staatsanwaltschaften übertragen werden, was hier nicht zutrifft, denn ein „§xyz StGB Hasskriminalität“ existiert schlicht nicht. Also müssen auch diese Staatsanwaltschaften die Verfahren nach einer Vorprüfung an die zuständigen Staatsanwaltschaften übertragen. Die können dann in Eigenverantwortung frei entscheiden, ob sie ein Verfahren weiterführen oder nicht.
Zumindest die Generalstaatsanwaltschaft München bietet über die reine Meldung hinaus auch einen Sonderdienst für Mandatsträger, also Politiker an. Die haben zunächst ein eigenes Zugangsportal und können dort mutmaßliche Straftaten gegen ihre Person melden, also z.B. Beleidigung, Verleumdung, Bedrohung usw. Eine solche Meldung mit Sachverhalt und empfundener Schädigung ist auch notwendig, weil eine Straftat auch voraussetzt, dass es einen Geschädigten gibt. Wenn man sich geschädigt fühlt, muss man auch angeben, wieso. Ausnahmen sind konspirative Straftaten wie etwa vorsätzlicher Betrug, von denen die Geschädigten keine oder zu spät Kenntnis erhalten und die Staatsanwaltschaften eben ohne Anzeigen der Geschädigten ermitteln.
Der Sonderdienst in München besteht aber nicht nur im speziellen Portal. Dort liest man:
Vorfall, Schilderung des Inhalts:
„Herr/Frau … hat folgendes geschrieben: …“
Ich stelle Strafantrag bezüglich aller in Frage kommenden Straftaten
Der Mandatsträger braucht also nur den Vorfall einzutragen. Weshalb er sich dadurch geschädigt fühlt, darf sich anschließend die Staatsanwaltschaft selbst aussuchen. Etwas brutaler ausgedrückt: die Staatsanwaltschaft konstruiert die Straftat selbst; es ist nicht notwendig, dass der Anzeigenerstatter sich überhaupt durch die konstruierte Straftat geschädigt fühlt. Folglich wird der Anzeigenerstatter gar nicht erst gefragt, sondern im weiteren unterstellt, dass er davon ausgehen musste, dass er [beleidigt/verleumdet/bedroht/…] wurde.
Ich verkneife mit die Frage, ob Mandatsträger inzwischen wirklich so beschränkt sind, dass sie noch nicht mal näher begründen können, weshalb sie sich geschädigt fühlen, selbst wenn sie aktive Rechtsanwälte sind. Fakt ist aber:
- Ein derart gestaltetes Meldeportal ist eine Einladung zum Justizmissbrauch durch die Mandatsträger, was nach §164 StGB eine Straftat ist.
- Die Staatsanwaltschaften ermitteln ohne konkreten Fall und konstruieren ihn selbst, was nach §344 StGB ebenfalls eine Straftat ist.
Damit ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Nach §15 StGB ist eine Tat nur dann strafbar, wenn sie vorsätzlich begangen wurde, von definierten Ausnahmen mal abgesehen, die hier nicht zum Tragen kommen. Die Staatsanwaltschaft ist also verpflichtet, im Verfahren den Vorsatz des Beschuldigten zu beweisen, jedenfalls so weit das sachlich möglich ist. Die Verpflichtung beschränkt sich nicht darauf, nun mit aller Gewalt den Vorsatz zu beweisen. Nach §160 StPO ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, auch entlastende Umstände zu ermitteln.
Da steht sie nun, die arme zuständig Staatsanwaltschaft. Sie bekommt ein Verfahren zugewiesen, dass eine andere Staatsanwaltschaft mutwillig einschließlich der strafbaren Vorwürfe formuliert hat, ohne dass sich der Geschädigte tatsächlich geschädigt fühlen müsste, ist darauf angewiesen, dass diese Staatsanwaltschaft auch alle Beweismittel übermittelt (was nicht unbedingt passiert; die sich die Straftatbestände ausdenkenden Staatsanwaltschaften entwickeln da u.U. eine ganz eigenständige Kreativität), muss dann den Vorsatz unter Berücksichtigung entlastender Umstände nachweisen – und könnte nun auf die Idee kommen, das Verfahren einzustellen. Aber das geht doch nicht !
Nun, inzwischen ist man so weit, das Verfahren der örtlichen Staatsanwaltschaft zunächst einmal wegzunehmen und entgegen der Vorschriften des §143 GVG einer anderen, politisch zuverlässigen Staatsanwaltschaft zuzuweisen. Die formuliert dann mit einiger Kreativität hinsichtlich der Beweismittel einen Strafbefehl mit der Begründung, dass der Geschädigte sich habe durch … geschädigt fühlen müssen, weiterhin ohne dass der etwas davon weiß, wie er denn nun geschädigt wurde. Das Amtsgericht winkt diesen Strafbefehl zunächst durch, was normal ist.
Wehren kann man sich erst jetzt, wenn man Einspruch gegen den Strafbefehl einlegt. Dann setzt das Amtsgericht einen Verhandlungstermin an, bei dem man dann seine Sicht vorbringen kann. Was da passiert – welche Staatsanwaltschaft auftaucht und wie die beschriebene Kreativität gegenüber bestehenden Gesetzen ausgelegt wird, bleibt abzuwarten. Den Prozess habe ich noch vor mir.