Vom ewigen Stänkern der Deutschen

Es ist schon interessant, wie schnell man beim Zeitunglesen die Position wechseln kann. Bin ich bei manchen politischen Themen der „ewig gestrige“ und „rückständige“ habe ich wiederum wenig Verständnis für allgegenwärtige Technikfeindlichkeit der selbst ernannten Fortschrittlichen. In beiden Fällen komme ich erfahrungstechnisch aber auch bei einem Widerspruch zu einem anderen Artikel der gleichen Zeitung, in der eine Diskussionskultur statt einer Hierarchie gepredigt wird, an: die jeweiligen Gründe interessieren niemanden, d.h. diskutieren kann man nicht. Die Gründe dafür sind am Ende dieses Aufsatzes zu finden.

Zur Technik, um die es ging: Computer sind inzwischen in der Lage, in Echtzeit die Gefühlslage des Menschen aufgrund seiner Mimik auszuwerten und im Geschäft auf dem nächsten Bildschirm ein Produkt zu präsentieren, das die Gefühlslage hebt und möglicherweise zum Kauf des Produkts führt. Man drückt das natürlich härter aus: das Geschäft will den Kunden zwingen, etwas zu kaufen. Grundsätzlich neu ist die Technik der Mimikauswertung nicht, sondern bereits seit langem Bestandteil nachrichtentechnischer Arbeit, aber die findet nicht in der Öffentlichkeit statt. Neu ist nur, dass man sie inzwischen auch von Computern erledigen lassen kann und im öffentlichen Sektor zu akzeptablen Preisen erhältlich, aber das war nur eine Frage der Zeit. Aufhalten kann man sie aus verschiedenen Gründen ohnehin nicht – was einen guten Deutschen allerdings nicht davon abhält, grundsätzlich dagegen zu stänkern und Verbote durch so genannte Datenschutzgesetze zu fordern.

Die Ängsteschürer sollten sich einmal klar machen, dass sie die gleiche Position vertreten wie ihre Kollegen aus den 1830er Jahren, die mit unsinnigen Argumenten wie „bei Geschwindigkeiten über 30 km/h wird die Luft im hinteren Waggonbereich zusammengedrückt, und vorne ersticken die Fahrgäste“ versuchten, gegen die Eisenbahn mobil zu machen. Positive Seiten werden in Deutschland nicht gerne gesehen, und während in den USA viele Bürger den Polizeibehörden ihre privaten Überwachungsdaten freiwillig anbieten und diese aufgrund solcher Techniken böse Buben von der Straße holt, bevor sie irgendwelchen Schaden anrichten können, nimmt man hier lieber in Kauf, dass Drogendealer die Szene bevölkern, weil abschreckende Kameras ja die Persönlichkeitsrechte verletzen, die vermutlich darin bestehen, dass der eigene Hund auf den Gehweg kackt ohne dass man den Dreck beseitigt. Vermutlich muss man 80% der Bundesbürger Nachts das Auto verkratzen, bis Verbote von Überwachungskameras (sogar von Attrapen von Überwachungskameras!) beseitig werden, die bislang nur Hooligans oder Kriminellen dienen.

Genauso kurzsichtig ist die Zielgruppe von Technikverboten ausgelegt: es ist immer und nur die Wirtschaft. Der Supermarkt schaltet ein Fernsehbild mit einem Produkt, dass mich interessieren könnte, wie furchtbar, obwohl – früher war man froh, wenn die Verkäuferin an der Wursttheke einen ungefragt auf das Sonderangebot einer Wurst, die man schon mal als „übelst lecker“ bezeichnet hatte, aufmerksam machte. Man sollte sich einmal klarmachen: die Leute wollen einem nur etwas verkaufen, aber sonst nichts Übles. Man muss es nicht kaufen, man muss sich dessen nur bewusst werden. Statt dessen setzen Bessermenschen lieber auf Entmündigung durch irgendwelche Verbote (und bekommen gar nicht mit, in welchem Umfang sie die Menschen damit herabwürdigen). Dabei übersehen die Angstmacher obendrein standhaft die Gruppe, denen das „etwas“ fehlt, die einem nicht etwas verkaufen möchten, sondern die einen verkaufen möchten. Dazu zählen unter anderem die Medien mit ihrer täglichen Berichterstattung, die genauso auf das Unterbewusstsein der Leser zielen und manipulieren, oder, auch ein neuer Hype in unser angeblich so aufgeklärten Welt, die angeblich wieder so wichtige Religiösität, bei Kindern angewandt nicht selten nichts anderes als Gehirnwäsche der übelsten Sorte. Hier nennt man das schlicht Propaganda, und dabei handelt es sich im Wesentlichen nur um 5-6 Tricks, die jenseits der Information das Unterbewusstsein manipulieren, im Fall der Religion oft so nachhaltig, dass die Leute genauso dumm sterben wie sie der Pubertät entwachsen. Wie gut das funktioniert, kann man schon daran sehen, dass heute 3/4 der Bevölkerung mit dem letzten Viertel nicht mehr diskutieren und diesem auch noch erfolgreich die Schuld in die Schuhe schieben.

Statt zu verteufeln und technische Entwicklungen als ewig Gestriger grundsätzlich abzulehnen, sollte man sich um ein Verständnis der Techniken bemühen. Weiß man um die Mimikauswertung, lässt sich dem Spezialangebot durchaus etwas Positives abgewinnen und gleichzeitig ein Kaufzwang durch das Unterbewusstsein ausschließen. Weiß man um die Propagandatechniken, kann man seine eigene Meinung schärfen. Weiß man um die Technik, kann man mitreden und diskutieren.