Der vorzeitige Tod

Für große Aufregung hat die Ansage „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären – aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen.“ von Tübingens Bürgermeister Boris Palmer gesorgt. Das sei unerträglich, zynisch usw., so besonders Karl „die Fliege“ Lauberbach, ein ….-zensiert-…. vor dem Herrn.

Vorzeitiger Tod nennt man das, was Palmer beschreibt. Nun, abgesehen davon, dass man den Tod nur zeitweise verhindern kann

https://www.youtube.com/watch?v=DS0CS9DiTGE

hat Palmer Recht und auch wieder nicht. Rechnen wir einmal nach: bei einer Lebenserwartung von 80 Jahren müsste bei völlig gleichmäßiger Altersverteilung 1/80 = 1,25% der Bevölkerung pro Jahr „ausgetauscht“ werden, damit die Population stabil bleibt. Macht bei 83 Mio ca. 1,04 Mio Verstorbene pro Jahr, d.h. ca. 86.000 pro Monat. Das Modell ist natürlich zu einfach. In der konkreten Zählung landete das statistische Bundesamt in den letzten Jahren bei ca. 900.000 – 950.000, was allerdings nahe genug dran ist.

Jahreszeitlich bedingt findet man Schwankungen von 15% und mehr vom Monatsmittel: im Winter sterben mehr, im Sommer weniger Menschen, weil eben im Winter Infektionskrankheiten wie die Grippe leichteres Spiel haben, wenn sie auf ohnehin schon gestresste Körper treffen. An der Stelle kommt dann die Begriffe „Übersterblichkeit“ und „Untersterblichkeit“ vor, die in den Medien ebenfalls schon mehrfach gefallen sind. Übersterblichkeit bezeichnet die Abweichung nach oben vom langjährigen Mittel und das sind dann, wenn die betroffene Gruppe die alten Menschen sind, diejenigen, die nach Palmers Aussage vorzeitig sterben. Das ist weder unerträglich noch zynisch, das ist das allgemeine Lebensrisiko und ist eben so und ist auch völlig normal.

Man kann das aber auch einmal von der anderen Seite aufziehen. Schauen wir einmal auf die aktuelle Statistik:

Zunächst einmal, Karl „die Fliege“ Lauberbach, du ….-zensiert-…. vor dem Herrn, weist die diesjährige Sterbekurve (rot) keine Übersterblichkeit auf. Im langjährigen Mittel sogar leichte Untersterblichkeit, über deren statistische Relevanz man sich allerdings streiten kann. Wie es weitergeht, bleibt abzuwarten. Über alle Kurven geschaut kann man aber den vorzeitigen Tod auch umdrehen: 2016 war auch so ein Jahr mit Untersterblichkeit, 2017 war höher, 2018 mit der heftigsten Grippesaison seit vielen Jahren ein Jahr mit hoher Übersterblichkeit. Vorzeitige Tode?

Kann man auch genau anders herum sehen: 2016 war ein Jahr mit unterdurchschnittlicher Sterblichkeit. Das wurde 2017 und 2018 „nachgeholt“, um ein wenig zynisch zu werden. 2019 war dann wieder ein Jahr mit geringeren Todeszahlen und in diesem Jahr liegt der Altersdurchschnitt der Verstorbenen über der Lebenserwartung, d.h. aus rein statistischer Sicht haben viele Verstorbene länger gelebt als normal. Drücken wir das mal zynisch im Sinne von Palmer aus: „Wir versuchen in Deutschland das Leben von Leuten zu retten, die schon vor einem halben Jahr (oder mehr) aufgrund ihres Alters oder ihrer Vorerkrankungen hätten sterben sollen (wäre 2019 ein normales Jahr gewesen)“.