… denkt man vermutlich zunächst an Süditalien, wo Projekte nur dann erfolgreich durchgezogen werden können, wenn bestimmte Unternehmen Aufträge bekommen oder bei bestimmten Lieferanten gekauft wird. Oder an Südosteuropa, wo selbst die mickrigsten Formulare stets aus zwei Blättern bestehen, um ein paar Geldscheine dazwischen verschwinden zu lassen. In Deutschland gibt es so etwas nicht!
Manche meinen tatsächlich, Deutschland sei so grundehrlich, dass aufgrund der fehlenden Korruption vieles gar nicht funktioniert. So findet sich bereits beim Lehrer, der von seiner Abschlussklasse ein bescheidenes Geschenk erhält, mit Sicherheit ein missgünstiger Kollege, der ihn verpfeift, und dann wird es teuer. Und auch der Sachbearbeiter, der einen Kugelschreiber mit dem Logo eines Lieferanten benutzt, bleibt nicht unbeobachtet. Und so macht man in der Regel lieber gar nichts, weil man in Deutschland mit Nichtstun immer auf der richtigen Seite ist.
So ganz stimmt das natürlich nicht. Da gibt es bei Behörden Anträge, auf denen die Antragsteller „wir bitten um fristgerechte Bearbeitung, obwohl wir Juden sind“ vermerkt haben, und die werden nicht nur bevorzugt bearbeitet, sondern auch extrem wohlwollend (kein antisemitischer Witz! Ich kenne solche Fälle). Aber zumindest verdient der Sachbearbeiter damit nichts, sondern schafft sich nur möglichen Ärger vom Hals. Aus meiner eigenen Zeit als selbständiger Unternehmer (mehr als 25 Jahre her, also alles verjährt und alle Beteiigten in Rente) weiß ich allerdings auch, dass eine Messstation bei näherem Hinsehen auch schon mal eine Garage am Haus eines Sachbearbeiters sein konnte oder Erdarbeiten auf der Baustelle vom Landschaftsgärtner im Garten durchgeführt wurden oder ein Ersatzantrieb für einen Generator im Motorraum eines Wagens der oberen Mittelklasse landete, um das defekte Original zu ersetzen. Relativierend muss gesagt werden, dass man bei 10 Kunden vielleicht bei zweien Leute fand, die in der Position waren, so etwas unauffällig ablaufen zu lassen. Die restlichen acht fielen unter die Kategorie „Lehrer“.
Sehr viel interessanter ist, wie man als kleine Firma überhaupt an Aufträge gekommen ist. Das war oft erst dann der Fall, wenn ein Projekt bereits ein Mehrfaches der veranschlagten Summe verschlungen hatte und die überzogenen Preise des Haus- und Hofkonzerns nicht mehr finanzierbar waren. Und da kommen wir dann zu dem Punkt, wo Deutschland tatsächlich eines der korruptesten Länder weit und breit ist. Die Korruption spielt sich oben ab, nicht wie bei den Südeuropäern unten oder in der Mitte. Die oberen Etagen von Politik und Ministerialbürokratie sind (mutmaßlich) so korrupt, dass deswegen viele Projekte unter Milliardenverlusten in die Hose gehen bzw. formal sogar funktionierende Projekte viele Milliarden am Staatshaushalt vorbei in Unternehmen pumpen.
Über Typ 2 der Korruption berichtet die ZEIT in einer aktuellen Ausgabe. Die LKW-Maut TollCollect, die just auf Landstraßen ausgedehnt wurde und die in absehbarer Zeit wohl auch PKWs betreffen soll, ist von Vornherein auf Korruption gestrickt: ein Geheimvertrag von sage und schreibe 17.000 Seiten ermöglicht den Betreiberfirmen so ziemlich alles, selbst die Berechnung von Oldtimer-Rallyes der Firmenchefs als Betriebsausgaben bei der Mautberechnung. Ab und zu gibt es in dem System mal einen Whistle-Blower, und prompt landet so etwas in der Presse. Das Ablaufschema – man findet mühelos in jeder Woche in einer der großen Nachrichtenmedien einen solchen Fall – ist immer das gleiche:
- Es ändert sich durch die Berichte rein gar nichts, sondern der Betrug läuft weiter.
- Es wird nie nachgehakt, was das Vergessen natürlich vereinfacht.
- Die Betroffenen aus den Behörden und Unternehmen sind grundsätzlich nicht zu sprechen.
- Dem Whistle-Blower bleibt höchstens noch, sich um Asyl in Nigeria zu bewerben, weil ihm hier selbst bei Hartz-IV-Anträge noch Steine in den Weg gelegt werden.
- Beim ermittelnden Staatsanwalt taucht eine Delegation der Spitze des zuständigen Ministeriums auf und sorgt dafür, dass die Ermittlungen eingestellt werden.
Der letzte Punkt ist der entscheidende. Ministerialdirektoren, Staatssekretäre und teilweise sogar Minister geben sich die Klinke in die Hand, bis die unteren Abteilungen der Justiz so eingeschüchtert sind, dass sie aufgeben. Was bringt diese Staatsdiener zu der Intervention, obwohl doch der Staat, den sie vertreten, geschädigt wurde und es eigentlich in ihrem Interesse sein sollte, die Sache zu korrigieren? Bevor wir uns einer Antwort auf diese Frage zuwenden, noch ein paar Anmerkungen zum Typ 1.
Typ 1 sind unter Pauken und Trompeten verunglückte oder beinahe verunglückte Projekte wie der Flughafen BER, der schnelle Brüter Kalkar, die Elbphilharmonie, Stuttgart 21 und andere, aber auch ohne Pauken und Trompeten beendete Projekte, die 2-4-fach so teuer waren wie veranschlagt und auch die 2-4-fache Zeit in Anspruch genommen haben, und das sind fast alle Vorhaben der öffentlichen Hand. Es sind aber auch milliardenschwere Gesetze, die bestimmten Unternehmen zu Gute kommen, den normalen Bürger aber oft direkt in der Tasche treffen. Ab und zu trifft man in seiner beruflichen Laufbahn auf Leute, die als Fußvolk Hintergründe zu berichten haben, aber selbst nicht davon profitierten, es sei denn, man rechnet stillschweigend eine kleine aber letztlich unbedeutende Karriere zum Profit.
Da gibt es einmal die gut durchgerechnete nächste Phase des Projektes, die natürlich wegen der immensen Kosten ziemlich weit oben abgesegnet werden muss, zweckmäßigerweise im Ministerium. Die genehmigte Phase weicht dann aber nicht selten von der Vorlage ab, und zwar teilweise recht massiv, so dass viele Änderungen auch an fertigen Teilen anstehen, die wiederum bestimmte Auftragnehmer erfordern, die die Änderungen durchführen. Manche dieser Änderungen funktionieren technisch grundsätzlich nicht und sind Investitionen ins Nichts, weil später doch wieder auf die ursprünglichen Daten zurück gegriffen werden muss. Damit das nicht so auffällt, werden in manchen Fällen im Vorfeld notwendige Berechnungen so weit verkürzt, dass der Fehler verdeckt bleibt. Ein Gewährsmann berichtete mir, dass Berechnungen zur Temperaturbelastung weit vor der tatsächlich später erreichten Temperatur abgebrochen wurden (werden mussten), obwohl alle wussten, dass die Temperaturen höher waren und die Materialien, mit denen operiert wurde, dem beim besten Willen nicht gewachsen waren. Aber nur so war es möglich, bestimmte Aufträge zu vergeben, und zwar an bestimmte Leute.
Noch dubioser sind manche Umweltgesetze zu Stande gekommen. Dazu mussten natürlich erst einmal Messungen gemacht werden. Geräte wurden konstruiert, Weltraummissionen geplant, Messungen gemacht und schließlich die entscheidenden Daten für die Gesetzesvorlage präsentiert. Nur mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass nach Informationen eines Mitarbeiters aus dem Fußvolk, der verständlicher Weise offiziell nicht gesagt hat, das Gerät zwar geplant, aber nicht gebaut wurde und zu den Messkurven, die später für das Gesetz präsentiert wurden, keine Rohmessdaten aufzufinden sind. An irgendeinem Punkt der Kette wurde wohl ein anderes Gerät, das zuvor abgelehnt wurde, gebaut und in den Weltraum geschossen, damit die Bilanz stimmt. In den Großforschungseinrichtungen sind solche Umwidmungen unauffällig möglich, weshalb in der Stichwortliste auch „Wissenschaft“ auftaucht. Wenn aufgrund des Gesetzes dann plötzlich Sachen vom Markt verschwinden müssen und durch etwas ersetzt werden, auf das ein Unternehmen die Patente besitzt, ist die Sache klar.
Zu steuern ist das alles nur von der Spitze aus. Es gibt darüber keine Neider, die die Drahtzieher verpfeifen können und die selbst genug Dreck am Stecken haben, und die Leute haben gleichzeitig auch die Macht, (fast) alles unter den Tisch zu kehren. Selbst Reportagen in den Medien tun diesen Leuten nur in den seltensten Fällen weh. Die Profiteure sind Unternehmer oder Vorstände, die sich hemmungslos die Taschen mit Millionenboni vollstopfen. Bleibt nur die Frage, wie die Beamten (und da rechne ich mal Staatssekretäre und Minister dazu) profitieren. Werden da Koffer mit Geld getauscht?
Sicher manchmal auch, aber in der Regel läuft alles hochoffiziell und unangreifbar und jeder Korruptionseuro wird sogar ordnungsgemäß versteuert. Die Beträge liegen bei einigen hunderttausend Euro, können aber auch bei Exponenten des Systems die Millionengrenze knacken. Ein paar Beispiele gefällig?
- Da werden Leute beauftragt, „Gutachten“ zu bestimmten Sachen zu verfassen. Für Gutachtertätigkeiten muss ein Beamter in der Regel noch nicht mal groß um eine Nebentätigkeitsgenehmigung bitten, das geht meist so. Für 2-3 Seiten wechseln auf diese Weise hochoffiziell schon mal 60.000 € oder mehr den Besitzer (einen Fall, wo es noch um DM ging, habe ich am Rande mitbekommen).
- Da erhalten Leute Beratungsaufträge. Dafür braucht man formal eine Nebentätigkeitsgenehmigung als Beamter, aber die ist kein Problem, da der nächste Don Corrupto für die Ausstellung zuständig ist. Beraterhonorare können auch leicht größere Geldbeträge erreichen.
- Politischen Beamte und Politiker können weiterhin ihren alten Beruf ausüben, z.B. Anwalt oder eben auch Berater. Und da landen dann Aufträge, die sich genau mit dem befassen, was der Politiker umsetzt.
- Man kann auch einfach Vorträge halten und pro Vortrag 20.000 € oder mehr kassieren. Natürlich vor einer geschlossenen Gesellschaft. Ein ehemaliger Finanzminister hat damit sogar die Millionengrenze geknackt.
Das Modell ist narrensicher, wie man sieht, und es lohnt sich, da es jeweils um hunderte von Millionen bis Milliarden an Steuergelder geht. Auf formal korrekte wenn auch anrüchige Weise wird dafür gesorgt, dass bestimmte Leute Aufträge erhalten oder von Gesetzen profitieren und ganz ordnungsgemäß Geld einnehmen, ihrerseits wieder ganz offiziell und korrekt Aufträge an andere vergeben und diese abrechnen und der Empfänger schließlich alles korrekt versteuert. Kein einziger Euro Schwarzgeld ist in dem Spiel geflossen. Und die Leute sitzen alle in Positionen, die es ihnen erlauben, den Profit auf sich zu beschränken und Korruption in unteren Bereichen wirkungsvoll zu unterdrücken, so dass nach außen alles nach einem durch und durch ehrlichen Land aussieht.
Vergleicht man einmal die Abläufe in Deutschland mit denen in anderen Ländern, stellt man fest, dass fast nirgendwo Aufträge des öffentlichen Dienstes so unrund laufen wie bei uns. Und dass es oberdrein immer chaotischer wird. Jedes Projekt ab einer gewissen Größenordung scheint inzwischen aus dem Ruder zu laufen, während ähnliche Projekte in vergleichbaren Industriestaaten problemlos abgewickelt werden. Die Schlussfolgerung, dass Deutschland inzwischen einer der korruptesten Industriestaaten der Welt ist, liegt nicht fern.