Demokratieverständnis

Politik und Parteien werfen angesichts des zunehmenden Erfolges der AfD dem Bürger ja gerne Dummheit, die wahren Ziele nicht erkennen zu können vor, oder steigern die Vorwürfe bis hin zum fehlenden Demokratieverständnis – womit sie aber nur fehlendes eigenes Demokratieverständnis demonstrieren.

Der Großteil der Wähler dürfte – im Gegensatz zur Auffassung der Parteien und der Medien – durchaus in der Lage sein, die gesellschaftliche Gesamtsituation zu erfassen und zu bewerten. Es stimmt schon, dass man vielfach wohl kein funktionierendes Modell zur Hand hat, wie etwas wirklich besser zu machen wäre, auf der anderen Seite kann man aber in der Regel sehr gut beurteilen, welche Maßnahme in die richtige Richtung geht und welche eher noch mehr Chaos produziert. Der „mündige Bürger“ existiert permanent und nicht nur im dem Augenblick, indem irgendwelche Schwachmaten Stimmen ergattern wollen.

Im Vergleich zum Machismo eines Türken der islamisch-konservativen Oberklasse wird die Hartnäckigkeit, mit der er seine Ansichten vertritt, locker von der Ideologiebesessenheit der „etablierten“ Parteien getoppt. Eine Position überdenken oder einen Fehler zugeben? Da steht man lieber unbeweglich in der Scheiße und wartet, bis sie einem über dem Kopf zusammenschlägt. Lange Zeit ging das auch gut, weil sie sich auf ein ideologisch programmiertes Wählerpublikum verlassen konnte. Man wählte SPD, weil man das immer so gemacht hatte und der Vater auch schon, und der hatte es vom Großvater übernommen, weil der Urgroßvater das mal so festgelegt hatte. Aber diese Kategorie von Wählern wird deutlich dünner.

Man kann auch sagen: immer mehr Wähler entwickeln ein größeres Demokratieberständnis, während die etablierten Parteien derzeit mit der Evolution nicht mehr mithalten können. Der Wähler erwartet pragmatische Lösungen für akute Probleme und nicht eine Ideologieorientierung, die immer mehr wie die Schwanzsteuerung wirkt, die Feministen gerne den Männern vorwerfen. Statt auf Stammtischparolen, Populismus und anderen Schlagworten herumzureiten, sollten die Parteien und die Medien endlich begreifen, dass

es die gottverdammte Pflicht desjenigen, der gewählt werden will, ist, dem Wähler klar zu machen, dass er (auch) dessen Interessen vertritt, und nicht die Pflicht des Wählers, sich selbst einzureden, dass eine bestimmte Partei das tut, nur weil sie sich als demokratisch bezeichnet.