So ist das halt, wenn man seine Reden (vermutlich) schreiben lässt. Manchmal kommt was Sinnvolles heraus, auch wenn man das vielleicht gar nicht beabsichtigt, wie bei der folgenden Reden von Frank-Walter:
Ich freue mich sehr, heute hier zu sein – hier in dieser wunderschönen Klosteranlage in Dalheim! Damit auch in meiner ostwestfälischen Heimat, in der ich mich immer noch gut auskenne. Ja, wir sind ländliche Region nach den gängigen Kriterien. Aber ländlich heißt nicht abgehängt und erst recht nicht vernachlässigt. Ostwestfalen ist ein erfolgreicher Wirtschaftsstandort und reich an kulturellen Schätzen. Genau das will ich zeigen an vielen Orten Deutschlands. Und deshalb steht diese Reise durch die ländlichen Regionen unter dem Titel „Land in Sicht“. Was ich anderswo beschrieben habe, gilt gerade und erst recht hier: Kunst und Kultur gibt es in Deutschland eben nicht nur in den Metropolen, sondern überall im und auf dem Land. Vielen Dank also an Sie, die dieses Museum so engagiert betreiben und unterstützen! Und herzlichen Dank für die Einladung!
Gehalten anlässlich einer Eröffnungsausstellung über Verschwörungstheorien
Es ist also kein Zufall, dass ich hier bin. Und erst recht haben nicht dunkle Mächte im Hintergrund die Fäden gezogen, um mich nach Dalheim zu bringen. Verschwörungstheorien müssen nicht bemüht werden. Hier nicht und auch sonst seltener, als es tatsächlich geschieht.
Dennoch, ich weiß: Der Glaube an Verschwörungen ist vermutlich so alt wie die Menschheit. Lange Zeit waren sie vor allem religiös begründet – vielleicht eignet sich also gerade ein ehemaliges Kloster hervorragend für eine solche Ausstellung. Der Rundgang, den wir gerade gemacht haben, ist eine faszinierende Zeitreise. Da geht es um Pakte mit dem Teufel, um Templerorden und Illuminaten. Und auch die Aufklärung hat die Verschwörungstheorie nicht besiegen können. Beide liegen bis in die Gegenwart hinein im Kampf miteinander, denken wir nur an die sogenannte Dolchstoßlegende, die „inszenierte Mondlandung“
oder die „wahren Drahtzieher“ hinter den Anschlägen vom 11. September. Eine der perfidesten und in ihrer Folge mörderischsten Verschwörungstheorien war die einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung. Sie lebt im modernen Antisemitismus bis heute fort.
Nein, trotz allen Fortschritts in Wissenschaft und Gesellschaft, trotz aller Aufgeklärtheit und Rationalität: Bis heute glauben viele Menschen daran, dass sich reale oder irreale Verschwörer im Geheimen zusammentun, um dunkle, meist verbrecherische Komplotte zu schmieden.
Solche Theorien, das wissen wir aus der Forschung, sind nicht nur nicht beweisbar, sie folgen immer demselben simplen Muster: Sie reduzieren höchst komplexe, manchmal auch schwer erklärbare Ereignisse und Sachverhalte auf eine einzige Ursache, die dann als Tatsache verkauft wird. Offenbar ist das ein zutiefst menschliches Bedürfnis: die Welt erklärbar, überschaubar zu machen. Und offenbar gilt: Je unsicherer die Zeiten sind, desto tiefer ist dieses Bedürfnis.
Und so wundert es kaum, dass heute auch in unserem Land Verschwörungstheorien blühen und gedeihen, ja sogar mehr Verführungskraft und Wirkmacht entfalten als noch einige Jahrzehnte zuvor. Dass da Agenten des Teufels am Werk sind, mag vielleicht niemand mehr glauben. Aber fast die Hälfte aller Deutschen – das hat jüngst eine Studie belegt – ist davon überzeugt, dass geheime Organisationen und Mächte Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen.
Im Netz, in den sozialen Netzwerken finden solche Vorstellungen dann breite Resonanz – und sie werden rasend schnell weiterverbreitet. Fakten spielen in diesen Filterblasen kaum eine Rolle, stattdessen feiert das Kontrafaktische fröhliche Urständ. Deshalb ist diese Ausstellung nicht nur hochaktuell, sie ist auch auf wohltuende Weise faktenbasiert und aufklärend!
Als Bundespräsident interessieren mich diese Phänomene vor allem aus einem ganz bestimmten Grund. Nicht aus Neugier an Kuriosem. Sondern weil das etwas mit unserer Demokratie zu tun hat. Wie keine andere Staatsform gründet die Demokratie auf der Vernunft!
Im vergangenen Jahr hatte ich bei einer Veranstaltung über „fake news“
im Schloss Bellevue auch den Amerikanisten Michael Butter zu Gast, der sich seit Jahren mit Verschwörungstheorien beschäftigt. Der neue Glaube an Verschwörungstheorien, schreibt er in seinem jüngsten Buch, ist „ein Symptom für eine tiefer liegende Krise demokratischer Gesellschaften“.
Wir leben in einer Zeit, in der die Vernunft, in der unsere demokratischen Werte stärker in Misskredit geraten. Populisten in vielen Ländern verbreiten nicht nur sogenannte alternative Wahrheiten, sondern offensichtliche Lügen und Verschwörungstheorien – ich denke dabei beispielsweise an die wirklich gefährliche Behauptung vom angeblichen großen Austausch der Bevölkerung. Und neue Nationalisten verbreiten die Theorie, dass sich die sogenannten Eliten und die Medien gegen das Volk verschwören.
Ja, auch früher wurden Tatsachen verdreht und Verschwörungstheorien zu politischen Zwecken instrumentalisiert – auch in den liberalen Demokratien der Neuzeit. Neu ist aber, dass „alternative facts“, dass offensichtliche Lügen innerhalb von Sekunden Millionen Menschen erreichen können. Aber es soll hier nicht der Eindruck entstehen, dass das Netz ein Werkzeug des Teufels ist. Denn gerade in den sozialen Netzwerken werden falsche Fakten und Verschwörungstheorien oft auch schnell entlarvt, und das kreativ und witzig.
Ich bin überzeugt: Die Zukunft unserer Demokratie hängt auch von der Unterscheidung zwischen Fakten und „fake news“, zwischen Tatsachen und Meinung ab. Denn ein vernünftiger öffentlicher Diskurs setzt voraus, dass ihm überprüfbare und allgemein akzeptierte Fakten zu Grunde liegen. Nur dann sind auch vernünftige politische Entscheidungen möglich.
Wer ernsthaft glaubt, dass dunkle Mächte hinter politischen Entscheidungen stehen, der kann nicht daran glauben, dass er Einfluss auf die demokratische Willensbildung nehmen kann, der kann kein Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen haben. Und der ist, auch das zeigt die Forschung, oft nur schwer mit rationalen Argumenten zu erreichen. Dennoch müssen wir auf die Kraft der Aufklärung, auf die Kraft der Vernunft setzen.
Der Kampf gegen Desinformation und Verschwörungstheorien ist eine der großen Herausforderungen für die liberalen Demokratien. Es ist ein Kampf, der uns alle angeht, der in Familien, Schulen, Büros und Betrieben ebenso ausgetragen werden muss wie in Zeitungsredaktionen, sozialen Netzwerken und Parlamenten. Und er wird ja auch überall ausgetragen, von den Nachfahren eines Erasmus, eines Galilei und Voltaire, von Wissenschaftlern, Journalisten und Bloggern, von Abgeordneten in Untersuchungsausschüssen – und von Ausstellungsmachern wie Ihnen hier im Kloster Dalheim!
Das Wort ist mächtig. Ich muss das an einem Ort wie diesem nicht wiederholen. Es steht am Anfang aller Dinge, und es hat Macht über unsere Vorstellung von der Welt. In einer Zeit ständiger Verkürzung und Vereinfachung von Sachverhalten und der Komprimierung von Nachrichten zu Newsfeeds müssen wir – so glaube ich – den Umgang mit Worten und die Ehrfurcht vor dem Wort noch einmal neu erlernen.
Und deshalb ist eine Ausstellung wie diese so wichtig, denn sie zeigt, wie Verschwörungstheorien entstehen, wie sie funktionieren und wirken – und wie sie entlarvt werden können. Damit erobern wir uns Spielraum zurück, in dem demokratische Politik und demokratische Mitwirkung entstehen können. Ich wünsche mir und Ihnen deshalb aus tiefem Herzen, dass diese Ausstellung viele Menschen interessieren wird.
Herzlichen Dank!
Ob er wohl erkannt hat, wie viel Richtiges er gesagt hat? Ich habe ihn jedenfalls mal gefragt:
Moin Herr Bundespräsident,
als Geschädigter einer ganzen Reihe von Verschwörungstheorien kann ich die Richtigkeit Ihrer Ausführungen nur bestätigen. Ich muss leider gestehen, dass das deutsche Bildungssystem bei mir – Jahrgang 1952 – schmählich versagt hat. Man hat mich damals doch fälschlicherweise dazu erzogen, selbständig zu denken, Nachrichten zu hinterfragen und Behauptungen nur dann zu akzeptieren, wenn sie nahtlos in einen größeren Zusammenhang passen und bestimmte logische Kriterien erfüllen! Nach einem naturwissenschaftlichen Studium hat mich das Land Niedersachsen mehr als 20 Jahre relativ gut dafür bezahlt, natur- und ingenierwissenschaftliche Zusammenhänge zu (er)kennen und analysieren zu können, darunter eben auch Themen, die heute unter Energiewende und Klimakatastrophe abgehandelt werden.
Vielleicht können Sie mein Befremden nachvollziehen, wenn heute außer den Fantasien jugendlicher Schulschwänzer wissenschaftlich fundierte Ansichten vollständig unterdrückt werden. Man kann bei vielen Behauptungen problemlos vorrechnen, dass sie nicht stimmen oder nicht funktionieren, anders lautendes Geschwätz von Scharlatanen wie PIK-Emeritus Schelnhuber, Fernseh-Prof Lesch und anderen hin oder her. Das ist inzwischen eine Verschwörungstheorie in Reinkultur, die leider auch von Ihnen befeuert wird – mit allem Drum und Dran wie einer Gesinnungsdiktatur, an der eine Reihe von Leuten bestens verdienen.
Ich kann Sie nur bitten, einmal Ihre eigenen Worte – sind es Ihre oder die eines Redenschreibers? – zu analysieren. Wir sind ja altersmäßig nicht so weit auseinander, dass das Bildungssystem nicht auch bei Ihnen in der gleichen Weise wie bei mir versagt haben könnte.
—
Viele Grüße
Eine Antwort erwarte ich nicht – oder allenfalls von irgendeinem Hansel oder einer Praktikantentuse, die aufgrund irgendeines abgebrochenen Micky-Maus-Studium mal wieder alles besser weiß.