„Deutschland spricht“

heißt das von ZEIT, Spiegel und einem guten Dutzend weiterer Medien betriebene Projekt, Leute mit gegensätzlichen politischen Ansichten zu einem 2er-Gespräch zusammen zu führen. Gut 20.000 Teilnehmer haben Gespräche miteinander am letzten Sonntag geführt, darunter ich. Der Fragenkatalog, an dem das Andersdenken festgezurrt werden sollte, war relativ kurz:

Gleich zu Beginn erzählte ich, dass ich aufgrund meines Werdegangs als Naturwissenschaftler und Informatiker analytisches Denken gewohnt sei und folglich Behauptungen auf den Grund gehe oder die Konsequenzen von Handlungsweisen analysiere. Dabei komme ich in sehr vielen Fällen eben zu anderen Einschätzungen als den politisch korrekten, weshalb ich ein Nazi sei, weil Nazi ja das Synonym für eine andere Meinung ist. Mein Gegenüber tat kund, dass er aufgrund meiner an den Namen gebundenen Email-Domaine auch meine Internetseite besucht und schon an der einen oder anderen Stelle ins Schlucken gekommen war, andererseits jedoch ein Kumpel von ihm bei mir Informatik studiert hätte und überwiegend Positives berichtete. Frage „Wie ist es denn so, immer sofort in eine Ecke gestellt zu werden?“ – Antwort: „Wenn genau die Leute, die immer auf korrekte Formen drängen, selbst sofort ausfallend werden, besteht keine Notwendigkeit mehr, selbst noch irgendein Blatt vor den Mund zu nehmen“.

Worauf wir uns erstaunlich schnell einigen konnten, war, dass Politik und Medien in einer fast noch schlimmeren Filterblase verharren, als sie den Mitgliedern der sozialen Netzwerke vorwerfen. Politiker haben das echte Leben der Bürger in der Regel nie selbst kennengelernt, da sie meist bereits ab der Schule in der Blase einer politischen Partei leben, und sie nehmen in ihrer Blasiertheit weder die Probleme der Bürger noch deren Veränderungsanliegen zur Kenntnis, das Gleiche gilt im Umgang mit anderen politischen Parteien. Die Medien gießen zusätzlich Öl ins Feuer, indem sie oft nicht berichten, was geschehen ist, sondern das, was sie meinen geschehen zu sein (Stichwort „ein Denkmal der Schande“ hat eine völlig andere sprachliche Bedeutung als „dieses Denkmal ist eine Schande“, zu der das Zitat umgedeutet wird), und sie haben es im Fall von Mehrdeutigkeiten auch nicht nötig, beim Urheber nachzufragen, sondern erheben das, was sie hören wollen, teilweise sogar das, was nur im Kopf gehört wurde, obwohl es gar nicht gesagt wurde, zur absoluten Wahrheit. In Politik und Medien ist das Messen mit zweierlei Maß so extrem geworden, dass genau hierdurch die Verrohung des Umgehens miteinander gefördert wird.

Diese erstaunlich weitgehende Übereinstimmung betrifft den analytischen Teil und beinhaltet natürlich nicht die persönliche Detailbewertung beispielsweise der AfD, bei der wir ziemlich auseinander liegen, während wir bei Der Linken schon wieder mehr Einigkeit erzielten. Systematisch kann man nämlich auch bei politischen Differenzen Fakten und Folgen analysieren und zum gleichen Ergebnis kommen, ohne sich gleich an die Gurgel gehen zu müssen. Diskussionen sind natürlich notwendig, um erst mal alle Gesichtspunkte zu sammeln; jedem können ja ein paar Bausteine fehlen, die der andere ergänzt, und manches mal mag eine Pause notwendig sein, um zu Hause die Sache in Ruhe zu überprüfen. Dieser Prozess ist sehr anstrengend, weshalb die meisten Leute auch nicht bereit sind, darauf einzugehen, sondern lieber auf einer betreuten Meinung verharren, aber grundsätzlich kann mit „gesundem Menschenverstand“ von jedem beurteilt werden, ob etwas stimmt und wo ein bestimmter Weg hinführt. Ob und wie man etwas anders oder besser machen kann, ist eine andere Hausnummer, auf die man nicht immer eine Antwort haben muss. Bei einigen Sachen kamen wir auf diesem Weg zum gleichen Punkt, andere mussten wir vertagen, da erst in Ruhe nachgedacht und geprüft werden muss, bei anderen wiederum mussten wir passen, da uns auch nichts besseres einfiel.

Wirkliche Differenzen, aber das war zu erwarten, traten erst auf, wenn es um die Frage ging, ob und in welchem Umfang man mit gewissen Konsequenzen leben kann und will. Wenn es mich stört, durch eine deutsche Stadt zu gehen ohne im Verlauf einer Viertelstunde auch nur ein Wort Deutsch zu vernehmen, muss das auf einen Gesprächspartner, der etwa halb so alt ist und schon dadurch einen anderen Erlebnishorizont hat, nicht zutreffen. Das muss man einfach einmal beidseitig hinnehmen, ohne aus der Rolle zu fallen, zumal bei der Überlegung, ob es nicht sinnvoller wäre, Deutsch als verbindliche Umgangssprache einzufordern und damit eine durchgehende Kommunikationsmöglichkeit herzustellen, schon wieder grundsätzlicher Konsens erreicht wird (die Wege dahin sind ein anderes nicht behandeltes Thema).

Bei den Fragen, um den Bericht einmal einzugrenzen (wir haben uns in den 3,5 h noch über eine ganze Reihe anderer Themen unterhalten), kamen wir zu folgendem Ergebnis:

a) Grenzen: falsch ist es, wenn Flüchtlinge oder um was auch immer es sich handelt, ghettoisiert werden, ihnen nicht (wie weiland den Spätaussiedlern aus Polen und Russland) klar gemacht wird, wie unsere Gesellschaft funktioniert, was sie dürfen und was die Konsequenzen sind, sich nicht daran zu halten, und das Erlernen der Deutschen Sprache als Grundvoraussetzung für eine wie auch immer gemeinte Integration einzufordern. So weit unsere Übereinstimmung. Dissenz besteht darin, ob eine Verbesserung organisatorisch eine Zugangsbeschränkung notwendig macht oder das auch bei offenen Grenzen erreichbar ist sowie im Bereich Integration oder Rückführung. Einig waren wir uns wieder darüber, dass die Politik so ziemlich alles falsch macht und keinerlei Ansätze zu einer Verbesserung zeigt, die den Druck aus der Gesellschaft nehmen könnte, weder in der einen noch in der anderen Richtung.

b) #MeToo: Unstrittig war, dass sexuelle Übergriffe „gar nicht gehen“ und konsequent abgestellt werden müssen. Unstrittig war aber letztlich auch, dass es genauso „gar nicht geht“, dass sich weniger als 5% der Gesellschaft die absolute Hoheit über die Sprache anmaßen und der strafrechtliche Tatbestand der sexuellen Nötigung durch einen beliebig durchführbaren gesellschaftlich-medialen Rufmord ersetzt wird (es sind ja auch schon mehrere Selbstmorde aufgrund zweifelhafter Beschuldigungen geschehen). Die unterschiedliche Beantwortung der Frage beruht also weniger auf eine Meinungsverschiedenheit als einer unterschiedlichen Wertung der beiden Aspekte.

c) Fleisch: man kann aus Tierschutzgründen weniger Fleischkonsum für richtig halten, aber wie viel man isst gehört nun wieder in den Bereich der persönlichen Meinung und nicht einer ideologischen Bevormundung, zumal bei dem, was Vegetarier/Veganer veranstalten, auch nicht alles Sonnenschein ist. Uns war letztlich beiden klar, dass Steuern irgendwo im Staatssäckel versickern, ein paar Bauern pleite gehen und die anderen mit den gleichen Produktionsmethoden weitermachen, weil sie gar keine andere Chance haben. Die Frage, was man überhaupt tun könnte, ließ uns in Ratlosigkeit zurück.

d) Autofreiheit: auch hier trotz unterschiedlicher Beantwortung der Frage weitgehend Einigkeit: die Alternative kann nicht sein „Auto oder ÖPNV“, sondern das Auto muss Bestandteil aller Modelle sein, und das Fahrrad ist nicht die Antwort, da es sich nicht für alle Leute, alle Entfernungen und alle Wetterlagen eignet. Autoreduziert wäre die realistische Frage gewesen, jedoch erfordert das ÖPNV-Konzepte, die in der Lage sind, die Massen zu bewältigen, häufig genug fahren, bezahlbar sind und überhaupt für Ortsunkundige benutzbar werden (Stichwort: Wabenstreckenplan als kubistisch-abstrakte Kunst an der Haltestelle). Davon ist nichts in Sicht, genau genommen noch nicht mal in Großstädten wie Hamburg, Berlin oder München, wenn man einen Vergleich mit Hong Kong oder Japan zieht. Auch hier läuft alles falsch.

e) Muslime: über das Thema Islam habe ich mich ja genug verbreitet, um mir hier Details zu ersparen. Notwendig wäre mindestens eine Entfernung der türkisch-arabischen Imame, Schließen der privaten Koranschulen und ein Euro-Islam, der von hier ausgebildeten Religionslehrern gelehrt wird. Das Gegenteil dieser Entwicklungen ist der Fall: man lässt die Extremisten machen. Die unterschiedliche Beantwortung dieser Frage lief also ebenfalls mehr darauf hinaus, ob man unter den derzeitigen Bedingungen ein Zusammenleben für möglich hält oder nach einer langfristigen Perspektive durch Änderungen Ausschau hält.

f) Trump: der ist mir derart egal, dass wir dazu nichts gesagt haben. Wenn die Amis sich selbst schädigen wollen, sollen sie das tun.

 

Fazit: wir sind uns in vielen Bereichen erstaunlich nahe gekommen, was die sachliche Bewertung angeht. Entsprechend harmonisch verlief das Gespräch; hitzige Teile haben wir eigentlich nicht gehabt. Das soll natürlich nicht darüber hinweg täuschen, dass wir jenseits der Bewertung schon deutlich unterschiedlich sind, was ich hier nicht so ausführlich dargestellt habe. Das Lebensbild meines Gesprächspartners sieht mit Sicherheit völlig anders aus als meines. Das war uns aber klar, und man kann sich ja in den unterschiedlichen Sachen in der Praxis auch aus dem Weg gehen, so dass auch das kein Grund war, in irgendeiner Form lauter zu werden. Großenteils liegt das natürlich auch daran, dass die politische Entwicklung aus unserer Sicht fast überall in die falsche Richtung verläuft. Wäre das nicht so, könnte das eine oder andere Thema schon etwas heißer werden.

Ich gehe davon aus, dass solche Gespräche sinnvoll eigentlich nur in einem solchen Rahmen stattfinden können, wo beider Partner genau aus dem Grund zusammenkommen und sich auf eine Faktenanalyse einlassen. Meine sonstige Erfahrung, die anscheinend auch ein ZEIT-Redakteur in seinem Dossier teilen musste: je Grüner, jünger, weiblicher und zufälliger die Begegnung, desto sinnloser der Versuch, ein Gespräch in Gang zu setzen. Die Frage der Initiatoren der Aktion, ob ich nun verstärkt das Gespräch mit Andersdenkenden suche, habe ich daher verneint.