Offener Brief an Johann Saathoff (SPD, MdB)

Moin Herr Saathoff,

ich war lange Zeit überzeugter SPD-Wähler, angefangen bei Willy Brandt bis hin zu Gerhard Schröder. Dessen Zusammengehen mit den realitätsverweigernden Grünen Ideologie-Automaten hat dem allerdings bereits einen ziemlichen Knacks versetzt (wenig zeigt wohl den desaströsen Zustand im Bildungssystem wirkungsvoller auf als dass die Grünen bei Wahlen immer noch 10% bekommen).

Die SPD-Positionen, die heute vertreten werden, sind allerdings völlig unverständlich. Selbst die Linke hat inzwischen mitbekommen, dass Ideologie nicht mehr viel nützt, wenn es keine Wähler mehr gibt, die dafür ihre Stimme abgeben. Wenn man sich anhört, mit was für Themen jetzt in die (Nach-)Verhandlungen mit der CDU/CSU eingestiegen wird, frage ich mich aber sehr ernsthaft, ob in der SPD-Spitze überhaupt noch jemand vorhanden ist, der mitbekommt, was „auf der Straße“ los ist.

Was meinen Sie, wie ein Martin Schulz, der innerhalb von wenigen Tagen eine 180°-Rolle hingelegt hat und permanent demonstriert, dass sein Schulabbruch kein Zufall war, und eine Andrea Nahles, die meint, ihre Ideenlosigkeit hinter der Proll-Fassade eines arabischen Türstehers verstecken zu können, wirklich bei den Leuten ankommt? Als Einzelner kennt man natürlich immer nur eine begrenzte Anzahl von Leuten, aber die meisten, die ich kenne, sind zwar mit dem ostfriesischen SPD-wählen-Gen (bewusst ohne „h“) auf die Welt gekommen, würden aber inzwischen morgen trotzdem woanders ihre Kreuze machen. Das liegt einerseits an Leuten wie Schulz und Nahles, andererseits aber auch an den Themen. Auch wenn man selbst eine Lösung nicht zur Hand hat, so können doch die meisten Leute ganz gut beurteilen, ob etwas „gequirlte Kacke“ (frei nach A. Nahles) ist, und der Ansicht sind immer mehr Leute.

Ist es das wirklich wert, die Traditionspartei in Klump zu fahren, nur damit ein paar abgehalfterte Funktionäre ihren Hintern noch mal mit einem Ministeramt vergolden können (irgendwie färbt Nahles verbal ab)? Und glauben Sie wirklich, dass das gut geht, wenn schon jetzt nur knapp 55% dahinter stehen? Oder wird im Hauen und Stechen um die verbleibenden Pfründe alsbald der eine oder andere gegen seine eigenen Regierung stimmen? Wäre es nicht besser, wirklich 4 Jahre ohne Koalitionsdruck eine neue Spitzenmannschaft und ein neues Programm aufzustellen? Eine Minderheitsregierung ist doch nicht wirklich schlimm; woanders funktioniert die Konstruktion doch auch hervorragend. Und wenn Frau Merkel nicht will – es findet sich schon jemand anderes. Der Bundespräsident kann vorschlagen, wen er will, und das muss nicht ein Mehrheitsführer sein.

Ich kann ja verstehen, dass die Listenplätzler unter dem MdB im Interesse des Erhalts ihrer Listenposition sich eher an den Wünschen der Leute ausrichten, die maßgeblichen Einfluss auf die Listen haben. Deshalb appeliere ich an Sie und Ihre anderen direkt gewählten Kollegen, sich gegen eine Fortsetzung dieses Unfugs einzusetzen. Gerade dadurch, dass Sie direkt gewählt sind, haben Sie eine ganz andere Hausmacht, nämlich Ihre direkten Wähler, was Sie einerseits unabhängiger macht, andererseits aber auch persönlich verpflichtet.


Viele Grüße