Sehr geehrter Herr Spahn,
das RKI ist gemäß IfSG wissenschaftlicher Berater und Ansprechpartner in Sachen Infektionsgeschehen. Die Arbeit der verschiedenen Arbeitsgruppen ist – in Übereinstimmung mit den Vorgaben des IfSG hinsichtlich einer ausführlichen Informationspflicht der Öffentlichkeit – auf den Internetseiten des RKI ausführlich dokumentiert, so dass sich jeder Interessierte einen detaillierten Überblick verschaffen kann. Wenn man das macht, stellt man fest, dass die verschiedenen Arbeitsgruppen des RKI ihre Claims sauber abgesteckt haben und ihre Arbeiten professionell und korrekt abwickeln – mit Ausnahme der Arbeitsgruppe Corona, die derzeit die weitaus größte Bedeutung für die Gesellschaft besitzt und medienwirksam durch die Chefs Lothar Wieler und Christian Drosten vertreten wird.
Der Umgang mit einer neuen Bedrohung – ob es sich bei Corona in Sinne von „neu“ nun um eine neuartige oder nur in den Kanon neu aufgenommene handelt, sei einmal dahin gestellt – gliedert sich in zwei Aufgabenbereiche:
- Die medizinisch-erregerspezifische Untersuchung des individuellen Krankheitsverlaufes und weiterer Folgen bei Erkrankten sowie
- die epidemiologische Analyse des Infektionsgeschehens für die gesamte Gesellschaft.
So intensiv das direkte oder indirekte Erlebnis einer individuellen Erkrankung auch sein mag, für die Gesamtgesellschaft betreffende Maßnahmen kann nur die epidemiologische Lage als Grundlage herangezogen werden. Verwaltungsgerichte bis hin zum Bundesverwaltungsgerichts haben als Konsequenz immer wieder Anordnungen von Behörden, die die epidemiologischen Aspekte und damit verbundene Regelungen nicht hinreichend gewürdigt haben, als rechtswidrig verworfen (z.B. BVerwG 3 C 16.11). Auch in Sachen Corona muss folgerichtig die epidemiologische Bewertung Vorrang vor dem sicher emotional ergreifenden Bild eines Patienten haben, der zwangsbeatmet wird.
Systematisch sind die Untersuchungen zu (1) eine Angelegenheit für Spezialisten, zu denen Nichtfachleute naturgemäß nur einen begrenzten wissenschaftlichen Zugang haben. Dies trifft aber nur noch bedingt auf Untersuchungen zu (2) zu, da hier eine Reihe von grundsätzlichen Fragestellungen zu lösen ist, die auch in vielen anderen Fachgebieten in ähnlicher Form auftritt, so dass auch dort Kompetenzen vorhanden sind. (1) muss allerdings Klassifizierungskriterien für bestimmte Fragekategorien liefern. Letztlich geht es dann vorzugsweise um Zahlen, bei denen von persönlichen Schicksalen einer Erkrankung abstrahiert wird.
Das RKI und Sie sowie auch andere Ministerien sind wiederholt auf die epidemiologischen Fragestellungen angesprochen worden, zum großen Teil sehr konkret mit Zahlen. In einer Email mir gegenüber erklärt ein Vertreter des RKI dazu:
„wenn Sie das Interview mit … meinen, … weiß nicht wirklich wovon er spricht“
Ein Eingehen auf die Argumentation, seien es nun aktuelle Zahlen oder Bezüge zu Infektionsgeschen der Vergangenheit, findet seitens des RKI nicht statt. Selbst weltweit führende Epidemiologen wie John Ioannidis wissen nach Ansicht des RKI anscheinend nicht, wovon sie sprechen.
Die Vernachlässigung von (2) gegenüber (1) findet sich bis heute in den öffentlichen Verlautbarungen wieder. Die Stellungnahmen von Christian Drosten ähneln eher einem Beispielkatalog für germanistische Vorlesungen, in welchen Kombinationen Sätze und Nebensätze mit Konjunktiven ineinander verschachtelt werden können. Da dies nicht zwangsweise bedeuten muss, dass das RKI seine Arbeit nicht doch macht, habe ich mich in den letzten Monaten jeweils mehrfach an verschiedene Institutionen unter Bezug auf die Informationspflicht gemäß IfSG mit sehr konkreten Fragen nach Daten und deren Erhebung gewandt, die mindestens zur sicheren epidemiologischen Bewertung notwendig sind und in der Praxis nach Festlegung der Klassifizierungskategorien mehr oder weniger als einfache Strichlisten für die statistischen Aufbereitung zu führen sind. Das Ergebnis meiner jeweils mehrfachen Bemühungen:
- Vom Bundeskanzleramt, der niedersächsischen Staatskanzlei, Landkreisen oder Kommunalbehörden gibt es keine Antworten auf Nachfragen.
- Ministerien des Inneren (Bund + Land) sind zwar sehr emsig mit Verordnungen beschäftigt, verweisen aber jeweils auf die Gesundheitsministeriem.
- Das Bundesministerium für Gesundheit verweist auf das RKI, weil es selbst nicht über diese Daten verfügen würde.
- Das niedersächsische Ministerium für Gesundheit (und einiges andere) antwortet: „Die Daten liegen der Landesregierung in dieser Detailtiefe nicht vor. Das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (IfSG) begründet keine Auskunftspflicht über derartige Daten.“ Angesichts §3 IfSG eine sehr merkwürdige Ansicht.
- Das RKI wiederum verweist auf seine Internetseiten, auf denen alle Daten veröffentlicht seien. Weitere Daten lägen nicht vor und würden auch nicht erhoben. Bezüglich Transferwissen aus anderen Infektionsgeschehen wörtlich: „Derzeit haben zumindest unsere Experten dafür keine Zeit.“
Als Ergebnis dieser Informationseinholung ist festzuhalten: die Arbeitsgruppe Corona RKI erledigt seinen Auftrag, die rechtlich wesentlich wesentlich wichtigeren Daten zu (2) zu erheben und zu analysieren, mutmaßlich tatsächlich in keiner Weise. Was zu der ersten Frage an Sie führt:
Wie lange wollen Sie es als zuständiger Fachminister, der zumindest die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Vorgehensweise kontrollieren und durchsetzen muss, noch dulden, dass die AG Corona im RKI diesen Pflichten nicht nachkommt ?
Wenn man sich weiter mit der Sache beschäftigt, wird es noch katastrophaler. Sie, Herr Spahn, haben in einem Interview in den ARD-Tagesthemen selbst auf die Problematik der False-Positives bei den PCR-Tests hingewiesen. Folglich dürften Sie nachfolgend davon ausgegangen sein, dass das RKI bei den an Sie übermittelten Daten dieses Problem berücksichtigt hat, denn letztlich sind Sie für die Korrektheit der Informationen, die als Grundlage für weit reichende Entscheidungen dienen, auch in letzter Instanz verantwortlich. Allein, das RKI berücksichtigt die Problematik in keiner Weise und setzt weiterhin unkorrigierte und damit falsche „Fallzahlen“ in die Welt. Darüber hinaus arbeitet auch die AG Corona insofern korrekt als sie auf ihren Internetseiten eine genaue Vorgehensweise vorschreibt, mit der aus einem positiven PCR-Test auf eine tatsächliche Infektion geschlossen werden kann. Die Auskunft auch zu dieser Frage lautet „ob diese Untersuchungen durchgeführt werden, wissen wir nicht. Wir geben keine Richtlinien dazu heraus und nehmen solche Daten auch nicht auf.“
Pikanterweise werden solche Daten im Rahmen des Sentinel-Programms der AG Influenza erhoben. Die Ergebnisse lassen den zwingenden Schluss zu, dass hinter den „Fallzahlen“ nichts steckt. Drosten und Wieler nehmen das nicht zur Kenntnis, sondern diffamieren im Gegenzug die AGI-Ergebnisse als irrelevant.
Der Verstoß gegen die allgemeinen oder eigenen Arbeitsregeln ist in der Wissenschaft ein eindeutiger Betrug. Inzwischen mehren sich die Stimmen von Juristen, die Drosten und Wieler nicht nur wissenschaftlich, sondern mit Blick auf das IfSG auch juristisch als mutmaßliche Betrüger verdächtigen. Was nun zu der zweiten Frage an Sie führt:
Was muss noch passieren, damit Sie als zuständiger Fachminister mutmaßliche Betrüger aus Ämtern mit einer derartigen gesellschaftlichen Brisanz entfernen ?
Die dritte Frage ergibt sich zwangsweise aus dem Vorstehenden. Auch wenn Gerichte derzeit noch zurückhaltend in ihren Urteilen gegen Corona-Verordnungen sind – die Corona-Krise ist ja bislang sehr kurz im Verhältnis zu üblichen Gerichtsverfahren – ist wohl auf die Dauer davon auszugehen, dass ähnlich wie in der Vergangenheit den Gerichten die Versäumnisse auffallen und geahndet werden. Da alle Anzeichen darauf hindeuten, dass Corona nicht die zu Beginn vielleicht befürchtete Brisanz entfaltet, sondern eher einer normalen und nicht besonders gravierenden Influenza-Grippe gleicht, durch die Maßnahmen aber die komplette Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben an die Wand gefahren wird, lautet die Frage:
Warum blasen Sie nicht endlich alle Maßnahmen ab und lassen sich die Situation entwickeln wie beispielsweise in Schweden, wo sich zeigt, dass die Bürger auch ohne Bevormundung und Bestrafung verantwortungsvoll handeln ?
Da dies ein offener Brief ist und die Beantwortung der Fragen nicht nur mir, sondern der Gesellschaft gegenüber erfolgen sollte, geht der Brief neben einer Vielzahl weiterer Empfänger insbesondere an die Fraktionen des Deutschen Bundestages, die sich folgende Frage gefallen lassen müssen:
Können Sie sich eigentlich noch ihres verfassungsmäßigen Auftrags entsinnen, die Regierung und ihr Maßnahmen zu kontrollieren und notfalls zur Verantwortung zu ziehen?
Was Herrn Spahn angeht, sollte er die Fragen beantworten. Beim Bundestag genügt das Ablegen des Verhaltens des obersten Sowjets der UdSSR, nämlich alles brav abzunicken, was aus den Ministerien kommt und ansonsten so lange zu Appaudieren, bis es dem Chef selbst zu lang wird.
Mit freundlichen Grüßen,