Die elektronische Patientenakte

wird nach den eher miesen Erfahrungen der Politik bei Opt-In-Verfahren nun mit dem Opt-Out-Verfahren eingeführt. Dazu gleich mehr.

Eigentlich wäre eine elektronische Patientenakte (EP) hilfreich, weil ein Arzt sich schnell und unkompliziert über den medizinischen Hintergrund eines Patienten schlau machen könnte. Notwendig ist sie allerdings nur in wenigen Fällen, denn für eine bestimmte Behandlung muss ein Arzt nur ganz bestimmte Informationen haben (wenn überhaupt) und dazu kann er den Patienten auch selbst fragen wie bisher. Lediglich für nicht ansprechbare Patienten in bestimmten Fällen wäre ein Rückgriff hilfreich. Für die Fälle ist eine allgemein EP aber sicher ein nicht verhältnismäßiger Aufwand.

Auch für Überweisungen ins Krankenhaus oder zu einem anderen Arzt könnte rein theoretische die EP sinnvoll sein, um Doppeluntersuchungen zu vermeiden. Wer aber schon mal von einem Arzt ins Krankenhaus geschickt worden ist, weiß, dass grundsätzlich alle Untersuchungen wiederholt werden. Grundsätzlich. Man kann mit einem ganzen Koffer an Unterlagen da erscheinen, sitzt 5 – 8 Stunden in der Aufnahme und am Ende des Tages sind nur die alten Untersuchungen wiederholt worden und es wir empfohlen, doch da zu bleiben, damit am nächsten Tag fortgesetzt werden kann. Auch darauf kommen wir weiter unten noch einmal zurück.

Kritisch an der EP ist, dass da auch Sachen drinstehen, die den Arzt hinsichtlich seiner Behandlung nichts angehen. Wenn ein Hautarzt einen Pickel untersucht, geht es ihn schlicht nichts an, dass die Patientin bereits zwei Abtreibungen hinter sich hat sowie mehrere Aufenthalte in Kliniken wegen schwerer psychischer Probleme. Und wenn der Arzt das weiß, weiß das auch die Arzthelferin, die das nun gar nichts angeht. Kann man sicher sein, dass nicht bereits da über bestimmte Patienten geschwafelt wird oder das Auswirkungen auf die allgemeine Behandlung hat (keine Termine und so, wenn nicht Schlimmeres)?

Und völlig ablehnen muss man die EP unter dem Gesichtspunkt, dass die Politik – Datenschutz hin oder her – jeden Missbrauch, der theoretisch denkbar ist, auch begeht. Datenschutz heißt heute im Wesentlichen, dass man selbst vor seinen Daten geschützt ist, alle anderen aber – Krankenkassen, Interessenverbände, NGO, … – durch bestimmte Art von Korruption an alles heran kommen. Darlehen für ein Haus aufnehmen? Gerne – wenn da nicht der Eintrag des Hautarztes über wiederkehrende Karzinome wäre. Wissen wir, ob Sie lange genug leben, um das Darlehen zurück zu zahlen? Mitglied im Fitness-Club werden? Sorry, nicht bei Ihren Blutdruck- und Cholesterin-Werten.

Es gibt also gute Gründe, es sich zu überlegen, ob man das will oder nicht. Ob man das verhindern kann oder nicht, ist eine andere Frage, den die Politclowns machen ja fast nur verbotene Sachen. Aber immerhin kann man es ihnen schwer machen. Bei privat Krankenversicherten müssen die Versicherten zustimmen. Da kommt dann ein Brief von der PKV, dass man die Anmeldung „als Service“ für das Mitglied übernimmt und man nur seine Daten (die die PKV alle schon hat) in ein Formular eintragen und unterschreiben muss, schon hat man sich alle Vorteile gesichert. – Und, ach ja, vergessen Sie bitte nicht, anzukreuzen, dass Sie in die Freigabe aller Ihrer Daten einwilligen. Das Feld ist irgendwo versteckt und neben der Unterschrift das einzig Wichtige an diesem Formular, der Rest Pillepalle. Gewissermaßen ein kleiner Trickbetrug, denn die Hauptsache übersieht der Kunde.

Wenn man das nicht will, wirft man den Brief (und die Erinnerungsschreiben) einfach weg und reagiert nicht. Dann dürfen die eigentlich keine EP beantragen/erstellen. Ob sie es trotzdem tun, wird man später erfahren.

Gesetzlich Versicherte MÜSSEN der EP aktiv widersprechen, ansonsten wird automatisch eine EP angelegt und alles eingetragen. Widersprechen kann man beispielsweise mit einem Brief an die GKV, dass man sein Einverständnis für die Freigabe seiner Daten nicht gibt und eine Bestätigung möchten, dass keine EP angelegt wird bzw. bereits eingetragene Daten gelöscht werden. Ob das wirklich passiert, ist eine gute Frage, aber auf jeden Fall wird es ein paar Drohbriefe geben, dass man gegen bestimmte Behandlungen nicht mehr versichert ist. In der Richtung kann man dann auch einen längeren Briefverkehr starten, weil man ja schließlich Beiträge zahlt und dann die Leistungen nicht einfach individuell eingekürzt werden dürfen (was die aber möglicherweise trotzdem tun).

Es muss zwar jeder selbst wissen, was er macht, aber man sollte diesem korrupten System nicht weiter trauen, als man einen Konzertflügel werfen kann. Aber wahrscheinlich scheitert der Widerspruch auch bei vielen jetzt eifrig Nickenden daran, dass man einen Brief schreiben muss.¹⁾

Kommen wir noch mal auf Behandlungen zurück. In den Städten mag es noch angehen, aber hier auf dem Land ist es kaum noch möglich, einen Hausarzt zu finden. Was nach Umzügen oder wenn der alte in Pension geht, notwendig wird. Am besten, man bringt ein paar der Stammpatienten um und schafft damit freie Plätze, muss aber selbst dann schnell und hartnäckig sein. Facharzttermine bekommt man hier in meiner Gegend mit einer Vorlaufzeit von 6 – 9 Monaten. Oder man hat ein Auto und kann bis zu 80km weit durch die Gegend fahren, dann bekommt man mit etwas Glück auch schon nach 3 Monaten einen Termin.²⁾

Oft heißt es auch: gehen Sie doch ins Krankenhaus. Allerdings ist da das Problem das Gleiche: kommt man so ins Krankenhaus, schicken die einen als Simulanten nach einem kurzen Blick gleich wieder weg. Länger schauen die nur, wenn man eine Überweisung von einem Arzt hat oder mit Tatütata eingeliefert wird. Ein Arzt meinte mal „rufen Sie eine Krankenwagen und lassen Sie sich mitnehmen“ – und das meinte der ernst, unabhängig von der Schwere der Erkrankung. Simulieren muss man unter den Umständen vermutlich ohnehin etwas.

Aber welches Krankenhaus? Krankenwagen sich schon häufiger so lange von Haus zu Haus gefahren, bis der Patient tot und das Problem erledigt war. Hier bei uns in der Gegend kommen für die Sachen, die bei uns anfallen, die nächsten drei Krankenhäuser nicht in Frage und man ist wieder 40 – 80 km unterwegs und wird dann terminlich ebenfalls in der Regel mehrere Wochen vertröstet. Demnächst schließen hier 3 Häuser und es soll eine neue Zentralklinik gebaut werden. Die ist von den Außenregionen auch mit Tatütata nicht in weniger als 25 min erreichbar. Ob es mal einen Bus dahin gibt oder Leute, die kein Auto haben, 30 km mit dem Fahrrad anfahren müssen, steht noch nicht fest.

Den Krankenhäusern geht es ja auch soooo schlecht. Komischerweise erhält man als Privatpatient aber selten eine Rechnung vom Krankenhaus, sondern vom Chefarzt der betreffenden Abteilung. Der nutzt zwar die Infrastruktur und das Personal, macht aber den Reibach. Wird jetzt allmählich klar, warum alle Untersuchungen wiederholt werden? Schließlich müssen die Chefärzte der maroden Kliniken ja auch irgendwie das marode Kassensystem plündern, während das Personal bei Hungergehältern Sklavenarbeit leisten muss und in den Großstädten zunehmend Gefahr läuft, dabei auch noch von irgendeinem Clan abgestochen zu werden.

Schland (und andere EU-Länder) bewegt sich im Bildungsranking auf den unteren Plätzen bei den rückständigsten Entwicklungsländern der Welt. Und man macht hier alles, damit das Ranking des Gesundheitssystems auch nicht oberhalb von Namibia oder Burkina Fasa rangiert.


¹⁾ Genderprobleme? Wie soll ich was schreiben? Meine Empfehlung: Betreff – KEINE Anrede – Text kurz und knackig – KEINEN Gruß – Name und Unterschrift. So schroff wie möglich.

²⁾ Uns damit geht es uns noch gut: in Großbritannien liegt die Wartezeit für eine Zahnarzttermin bei bis zu 4 Jahren. Ja, richtig gelesen, 4 Jahre.