Alles, nur kein Rechtsstaat

Vergangenen Staaten auf dem Gebiet von Große-Fresse-Land, dem NS-Staat und der DDR, wirft man vor, keine Rechtsstaaten gewesen zu sein, während Große-Fresse-Land – prahl, prahl! – natürlich ein Rechtsstaat ist. Was ist ein Rechtsstaat?

Kurz formuliert ist die Justiz eines Rechtsstaates – Staatsanwaltschaften und Gerichte – ausschließlich an Gesetze gebunden und sonst nichts. Um jemanden zu belangen, muss ein Rechtsgrund, also ein Gesetz, vorliegen, gegen den verstoßen wird, sowie ein Sachgrund, der den Rechtsverstoß begründet. Zudem definiert ein höherwertiges Recht gegebenenfalls eine Rahmen, außerhalb dessen der Rechtsverstoß wieder aufgehoben wird.

Beispiel: in einer Schule trat ein Fall von Masern auf. Ein anderer Schüler, der möglicherweise (!) Kontakt mit dem Erkrankten gehabt hatte, wurde ohne weitere Untersuchung in Quarantäne gesteckt. So weit Rechts- und Sachgrund. Das Grundgesetz sagt jedoch etwas anderes zur persönlichen Freiheit aus und folglich bekam das zuständige Gesundheitsamt kräftig einen auf den Rüssel: „möglicherweise“ hätte vor Verhängung der Quarantäne abgeklärt werden müssen und in dieser rigiden Form lief die Anwendung des ersten Gesetzes auf Freiheitsberaubung und ein paar andere Sachen hinaus, war also rechtswidrig. Stand: 2013

Wenn man nach diesen Definitionen geht, waren sowohl NS- als auch DDR-Justiz nach meiner Kenntnis rechtsstaatlich. Sie handelten nach den damaligen Gesetzen und zu unterstellen, dass sie nicht nach heutigen Gesetzen handeln, ändert nicht daran, dass sie formal rechtsstaatlich handelten, auch wenn man das heute bei den verhängten Urteilen wohl völlig anders empfindet.

Was ist mit Große-Fresse-Land? Ist das wirklich rechtsstaatlich nach den Regeln? Antwort 1: NEIN! Der Grundsatz, dass höherwertiges Recht einen Einfluss auf die Auslegung von Gesetzen hat, existiert nämlich nicht mehr. Das Grundgesetz hat inzwischen keinerlei praktische Bedeutung mehr, sämtliche die Bürger- und Menschenrechte betreffenden Paragrafen werden inzwischen nach Belieben mit Füßen getreten.

Das ist nun nicht das Ergebnis von ein paar unzulänglichen Richtern, die komische Urteile fällen. Zumindest das Bundesverfassungsgericht (bei anderen höheren Gerichten müsste man nachschauen) ist nämlich keine rechtsstaatliche Einrichtung. Der Grund ist die Investitur der Richter. Die müsste nämlich folgendermaßen aussehen:

  • Eine nicht-politische Berufungskommission schaut sich Kandidaten für das Amt an und schlägt Bewerber vor.
  • Die Exekutive bestätigt einen der Bewerber (kann natürlich auch welche Ablehnen), hat aber sonst keinen Einfluss auf das Verfahren.

Der neue Richter ist niemandem verpflichtet. Das läuft so beispielsweise bei Hochschulprofessuren und war jahrhundertelang ein Streitpunkt zwischen Kirche und Fürsten.

Das aktuelle Verfahren sieht jedoch so aus: die Exekutive bestimmt ohne weitere Konsultation einen neuen Richter, wobei im Fall des BVerfG mutmaßlich sogar noch akademische Karrieren gefälscht werden, um den Kandidaten salonfähig zu machen. Der Richter ist nicht unabhängig, sondern Partei und der Politik verpflichtet – mithin also nicht rechtsstaatlich!

Ist der Rest wenigstens rechtsstaatlich? Antwort 2: NEIN. Die Staatsanwaltschaft Göttingen beispielsweise firmiert im Internet unter dem Titel

Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet – Niedersachsen (ZHIN)

Hasskriminalität? Im Strafgesetzbuch gibt es keinen Paragrafen, der Hass als straftrechtlichen Gegenstand hat. Zum Begriff „Hasskriminalität“ vermerkt die wohl jeglicher Staatskritik unverdächtige wikipedia:

Umschreibung für politische Gesinnungsjustiz

Gesinnungsjustiz? Die wird dem NS-Staat und der DDR unterstellt, die nach heutigem Dafürhalten die Gesinnung bestraft haben. Aber sie hatten Gesetze dafür. Heute gibt es solche Gesetze (noch) nicht. Wie kann dann eine Staatsanwaltschaft für politische Gesinnungsjustiz existieren (und jedes Bundesland hat so eine)?

Die Antwort liefert ausgerechnet der EUGH:

Man muss sich dieses Urteil mal auf der Zunge zergehen lassen: deutsche Staatsanwaltschaften sind keine rechtsstaatlichen Einrichtungen! Sie mögen nach Rechtsstaatsprinzipien arbeiten, aber eben nur so lange, wie es dem nächsten Politiker gefällt. Wenn es dem nicht gefällt, kann der jederzeit anordnen, nach irgendwelchen willkürlichen Regeln zu verfahren und die zur StaSiAnwaltschaft degradiert Staatsanwaltschaft muss kuschen.

Wo die Rechtsstaatlichkeit in Große-Fresse-Land angesiedelt ist, zeigt der Fall des AfD-Abgeordneten Bystron, der angeblich einen Hitler-Gruß gezeigt haben soll (hier, schon älter). Gegen die AfD ist jedes Mittel Recht, angefangen bei der Aufhebung der Immunität von Abgeordneten. Die StaSiAnwaltschaft München verschickt auch prompt einen Strafbefehl, weil „für jeden Eingeweihten klar ist, dass das ein Hitlergruß war“. Was schon im Widerspruch zum Strafgesetz seht, denn das sagt:

Strafgesetzbuch (StGB)
§ 15 Vorsätzliches und fahrlässiges Handeln

Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht.

Die Staatsanwaltschaft ist gemäß StPO verpflichtet, den Vorsatz nachzuweisen. „Für jeden Eingeweihten klar …“ ist allerdings kein Nachweis, sondern reine Willkür.

Das zuständige Amtsgericht hat den Strafbefehl folglich verworfen. Doch noch ein Rechtsstaat, vielleicht ein letztes Zucken? Immerhin hat die StaSiAnwaltschaft Berufung eingelegt – ein klares Zeichen, dass sich die Staatsanwälte für keine Demütigung zu Schade sind, wenn der politische Befehl kommt, eine Sache durchzuziehen. Für einigermaßen auf ihre Ehre bedachte Leute sollte das eigentlich einem erzwungenen Auftritt in „Public Disgrace“ gleichkommen.

Aber zuckt der Rechtsstaat noch in den Gerichten? Bedingt bis nicht. Wenn Richter, die missliebige Urteile fällen, Gefahr laufen, von einem Rollkommando der Gestapo und willfährigen StaSiAnwälten zu Hause „besucht“ zu werden, braucht man auch als Richter schon Mut. Die bisherigen Übergriffe haben stets keinerlei Folgen für die Gestapo-Rechtsbrecher gehabt, die Urteile wurden zwar widerrufen (ebenfalls zum größten Teil durch rechtswidrige und damit nicht rechtsstaatliche Verfahren!), aber den Richtern wurde von Dritten stets bescheinigt, korrekt geurteilt zu haben. Rechtsstaat? Wohl eher nicht.

Aber auch Gerichte und Richter sind allenfalls bedingt rechtsstaatlich. Via Gerichtspräsident und Geschäftsverteilungsplan haben die Justizminister es selbst in Gerichten weitgehend in der Hand, das Geschehen in ihrem Sinn zu steuern. Nein, Große-Fresse-Land ist alles mögliche, nur kein Rechtsstaat. Und das sollten sich diejenigen, die immer noch der Illusion nachgehen, irgendwelcher Rechte zu haben, endlich mal klar machen.