Wenn das Licht ganz ausgeht

Unsere Wirtschaft ist im Corona-Modus, und zwar im buchstäblichen Sinn. Wenn man von einer Krankheit geschüttelt wird, fährt der Körper ein paar Funktionen herunter, um mit dem Urheber fertig zu werden: die 6 km joggen am Morgen machen genauso wenig Spaß wie der Geschlechtsverkehr und man bleibt lieber im Bett.

Genauso ist es mit der Wirtschaft derzeit auch: Fast alles ist mehr oder weniger komplett herunter gefahren, selbst Bereiche, die man sich im Krankenfall immer noch als Aktivität offen hält. Wenn es nicht ganz so schlimm ist, bleibt immer noch Fernsehen oder Lesen neben dem Schlafen, aber für die Wirtschaft ist selbst das deaktiviert.

Die öffentliche Parole lautet: Wir machen eine Pause und fahren dann alles langsam wieder hoch. So wie der Kranke beim Genesen die still gelegten Funktionen auch wieder anfährt. Alle Welt tut derzeit so, als wäre das ohne Probleme möglich. Wir fahren wieder alles an und haben außer ein paar Schulden in einiger Zeit wieder alles im Lot.

Das ist aber nicht so, weil wesentliche Sachen vergessen werden. Schwer verlaufende Erkrankungen dauern länger und auf dem Weg kann es durchaus passieren, dass lebenswichtige Organe den Betrieb einstellen. Der Patient fährt nicht wieder an, er ist tot. Einen Neuanfang gibt es dann nur mit einem Baby, das erst einmal bei Null anfängt. Den Fall des völligen Exitus hat man bei der Wirtschaft nicht auf dem Schirm und das kann fatal werden.

Bei einem Wiederanfahren werden einige Player nicht mehr da sein, weil sie es finanziell nicht überlebt haben. Andere werden wieder loslegen, aber dann aufgeben müssen, weil die Kunden fehlen. Alles kein Problem: Andere werden die Lücken der ersten füllen und irgendwann verdienen die Leute auch wieder genug Geld, um als Kunden auftreten zu können. Nicht auf dem Schirm dabei: Kunden, die nachfragen, Unternehmen die loslegen wollen – und die keine Waren mehr bekommen, weil davor alles weggefallen ist. Das kann schneller gehen als man denkt:

Unternehmen A produziert noch fleissig, weil es auch in der Krise systemrelevant ist und die Gesellschaft die Produkte benötigt. Unternehmen B ist Zulieferer von A (Vorprodukte, Maschinen, Ersatzteile), aber auch von C. C ist nicht systemrelevant und abgeschaltet, was auch auf B wirkt. B kann nur durch Belieferung von A nicht überleben und schließt, A verwaltet leere Regale, die Kunden bekommen nichts mehr.

Einmal als konkretes hypothetisches Beispiel: Die Automobilproduktion ist komplett eingestellt. Nicht nur wegen der Epidemie, sondern weil die Verteufelung des Automobils durch die Grünen zu Autohalden ähnlich den Kohlehalden in den 1970er Jahren geführt hat. Die Konzerne und Großhändler Händler sitzen noch auf größeren Mengen der 2017er und 2018er Produktion, was Grund genug ist, die Produktion herunter zu fahren, zumal im Ausland aufgrund des weltweiten Ausnahmezustands auch nichts mehr abzusetzen ist. Was im Moment auf der Straße bewegt wird, benötigt allerdings Ersatzteile aller Art. Nur von Ersatzteilen können die Zulieferer aber nicht leben. Ein Zulieferer nach dem anderen, oft recht kleine mittelständische Unternehmen, schließt im Laufe der Zeit. Die Konzerne verkaufen Teile ab Lager, aber die sind klein. Wer genau aufpasst, kann schon heute beobachten, dass viele Werkstätten Engpässe bei Ersatzteilen verzeichnen und nicht wenig über Vitamin B läuft, was früher halt einfach offiziell bestellt wurde. Dauert der Shutdown länger, fällt auch vieles, was noch funktionieren muss, um, weil wichtige Teile nicht mehr lieferbar sind.

Nun besteht zum Beispiel so ein Motor in einem Auto aus mehreren 1.000 Einzelteilen, alle sehr speziell und hohen Ansprüchen genügend. Teile, die vor 50 Jahren in einem Käfer verbaut wurden, würden in den modernen Hochleistungsmotoren höchstens ein paar Tage durchhalten. Zwar ist immer von VW, BMW oder Bosch zu hören, aber vielfach stehen hunderte kleiner Unternehmen in der gesamten Lieferkette. Bei einem „jetzt geht’s wieder los“ müssen die alle wieder anfahren, was schon Probleme für die Logistik bereitet, da der eine nur 1 Woche zur Lieferung benötigt, der andere 4 Wochen. Auch deren Vorlieferanten müssen wieder anfahren. Fallen solche Unternehmen aus, kann man versuchen, andere Lieferanten in der gleichen Qualität zu finden, aber die Logik sagt einem, dass irgendwo eine Grenze existiert, wo das nicht mehr funktioniert. Essentielle Teile können nicht mehr aufgetrieben werden und der ganze Motor kann folglich nicht mehr produziert werden. Exitus.

Exitus bedeutet in diesem Fall: man fängt mit der Konstruktion eines Motors von vorne an, wobei nur die Teile eingesetzt werden können, die man auch bekommen kann. Also kein Wiederanfahren, sondern ein kompletter Kaltstart von Null wie mit einem Baby. Dieses Szenario wird für viele Bereiche um so wahrscheinlicher, je länger der Shutdown dauert. Ebenso wird wahrscheinlicher, dass die jetzt noch funktionierenden Bereiche durch Totalausfälle in der Lieferkette ebenfalls ausfallen.

Dazu kommt noch, dass die Wirtschaftsgeflechte international sind. Das Schließen von Modegeschäften in Berlin führt im Extremfall letztlich zu einer Hungerkatastrophe in Bangladesh, weil die Textilindustrie keine Abnehmer mehr hat und alle entlässt. Sozialsysteme existieren dort nicht. Das Schließen von Blumenläden führt zum Bankrott des spezialisierten Produzenten in Afrika, der damit auch als Kunde für eine wieder anlaufende Automobilproduktion entfällt.

Ein weiteres Problem für ein Wiederanfahren der Wirtschaft dürfte auch die Bevölkerung sein. Die ist an die Segnungen des Sozialstaats und nicht an harte Arbeit gewöhnt. Ein großer Teil der Bevölkerung ist unqualifiziert, die Ansprüche der Wertschöpfungskette zu bedienen. Eine Übernahme vieler Funktionen durch den Staat, wie es sich derzeit andeutet, ist stark hemmend für eine Erholung, da alles durch unfähige Bürokraten ausgebremst wird. Auch dieser Faktor wirkt sich mit jedem weiteren Tag Shutdown verheerend aus.

Schon jetzt ist abzusehen, dass verschiedene Branchen nicht mehr durchstarten können. Pläne, die ältere Bevölkerung wegzusperren und die jüngeren wieder arbeiten zu lassen, dürften das Aus für viele weitere Betriebe der Gastronomie- und Tourismus-Branche sein, denn gerade die Älteren bringen das Geld. Siehe Kreuzfahrtschiffe: Typisches Alter = Risikogruppe. Für viele Dienstleister ist vermutlich jetzt schon das Ende erreicht: Wer irgendwie in der Schulungs- und Beratungsbranche steckt, der ist seit Beginn des Shutdowns arbeitslos. Bei einem Ende nach Ostern rechnen die meisten auch mit einem auftragslosen Mai, aber bei dem dürfte es nicht bleiben. Alle Branchen, die gewissermaßen am Ende der Luxuskette stehen, werden auch als letzte wieder in Betrieb gehen können.

Glücklicherweise, möchte man fast sagen, wird es auch die Qualitätspresse treffen. Warum Werbung schalten, wenn kaum noch Wettbewerb besteht und das unnötig ist? Und auch das wird eine Sache bleiben, die lange anhält. Horrende Preise für Werbung sind nicht mehr erzielbar, horrende Honorare für Journalisten nicht mehr zahlbar und zunehmend mehr Redaktionen schalten bereits jetzt in den Sparbetrieb, mühsam versteckt hinter „der Sorge um die Gesundheit unserer Mitarbeiter“.

Es werden weitere Verstärker auftreten. Es ist dringend notwendig, diesen Ausnahmezustand zu beenden, nicht nur hier, sondern auch in anderen Staaten. Ob es für viele Bereiche nicht schon zu spät ist, wird sich zeigen. Diese Forderung scheint angesichts von inzwischen 67.000 offiziell verzeichneten Todesfällen zynisch bis menschenverachtend, aber diese Zahlen sind nicht ehrlich und die Folgen bei einen weiteren Shutdown könnten sich auch so entwickeln, dass die Corona-Epidemie zum Kollateralschaden wird und nicht umgekehrt.