Die elektrische Leistung ist definiert als:
U und I sind Spannung und Strom und das ganze ist zeitabhängig, weil wir Wechselstrom verwenden. Als Kunde bezahlt man aber nicht die Leistung, sondern die Arbeit:
wobei als Zeitintervall ein ganzzahliges Vielfaches der Periode der Spannung verwendet wird. Wenn U und I das gleiche Vorzeichen haben, wird Leistung aus dem Stromnetz entnommen, wenn sie entgegengesetzte Vorzeichen haben, wird Leistung in den Stromkreis eingespeist. Es kann nun jeder als Denksportaufgabe mal verifizieren, dass bei bestimmten Verhältnissen der Vorzeichenwechsel zwar fast ständig eine Leistung erbracht wird, aber über den Gesamtzeitraum keine Arbeit verrichtet wird, d.h. W=0. Hilfe: das Integral kann man näherungsweise auch durch eine Summe ersetzen:
Verstanden? Erst weitermachen, wenn das so ist. Einfach Zahlenbeispiel selbst konstruieren.
Jetzt schauen wir uns einmal einen Verbraucher (wahlweise auch einen Erzeuger wie eine Windkraftanlage) im elektrischen Versorgungsnetz an. Das macht man mittels einen so genannten Ersatzschaltbildes, das die verschiedenen elektrischen Bestandteil enthält und in einer vereinfachten Form so aussieht:
Das ist nur eines der möglichen Schaltbilder. Zur Beschreibung der realen Verhältnisse sind komplexere Schaltbilder notwendig. Für ein Wechselstromnetz genügt das Bild aber, um sich die Zusammenhänge klar zu machen.
R_Cu ist dabei die Zuleitung, also das dicke Kabel auf den Strommasten. Die Spannung am Verbraucher lässt einen Strom durch den Widerstand R_Fe fließen, lädt einen Kondensator C_p auf und erzeugt in der Spule L durch den Stromfluss ein Magnetfeld.
Wenn die Spannung steigt, geht gleichzeitig mehr Strom durch R, d.h. Strom- und Spannungskurven verlaufen genau parallel, die Vorzeichen sind gleich und es wird Arbeit geleistet.
Die Ladung auf dem Kondensator ist natürlich begrenzt, d.h. es gibt bei Erhöhen der Spannung nur einen kleinen Stromstoß mit positiver Leistung und danach ist wieder Ruhe. Fällt die Spannung wieder, geht der Stromstoß in die andere Richtung, d.h. eine negative Leistung. Obwohl an der Leitung zum Kondensator Leistung erbracht wird, wird im Wechselstromfeld insgesamt aber keine Arbeit verrichtet. Im Idealfalls sehen die Kurven so aus:
In der Spule wird bei Stromfluss ein Magnetfeld aufgebaut, was im Wechselspannungsfeld bei steigender Spannung wiederum den Stromfluss dämpft, weil die Energie im Magnetfeld gespeichert wird; bei sinkender Spannung wird die Energie aus dem Magnetfeld wieder abgerufen und erhöht den Strom. Insgesamt ergibt dies im Idealfall wieder einen Kurvenverlauf wie im letzten Bild, nur dass diesmal der Strom und Spannung die Positionen gewechselt haben:
Das sind die Idealfälle. In der Realität können die Strom/Spannungsverläufe auch wieder sehr viel chaotischer aussehen, zumal ja alle drei Ströme zu addieren sind.
Obwohl bei Kunden also nur der durch R fließende Strom Arbeit verrichtet und über den Stromzähler abgerechnet werden, können durch R_Cu weitere Ströme fließen, die für die L- und C_p-Leistungen benötigt werden. Nach dem Ohmschen Gesetz gilt
Wenn der für L und C_p notwendige Stromfluss, der auch Blindstrom genannt wird, da er keine Arbeit beim Verbraucher verrichtet, sehr groß wird, wächst der Verlust in der Zuleitung sogar quadratisch an.
Die Zuleitung besitzt im Übrigen hauptsächlich einen Widerstand und keine Kapazität, weswegen man Kobolde auch nicht im Netz speichern kann und Annalena strohdoof ist (im Gegenteil geht durch Antennenwirkung sogar noch etwas verloren, wenn man es genau nimmt).
Wenn man die Verluste minimieren will, muss man die Kapazitäten und die Induktivitäten gegeneinander ausspielen. Da die Stromkurven jeweils in eine andere Richtung gegen die Spannungskurve verschoben sind, können sich die Ströme im Verbraucher kompensieren und über R_Cu fließt nur der gleiche Strom wie über R_Fe.
Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Ein reiner Widerstand ist im Prinzip nichts anderes als ein Heizkörper, der Wärme abstrahlt. Wenn man die Zuleitung so berechnet, dass 10 A Wirkstrom beim Kunden abgeliefert werden können, durch nicht kompensierten Blindstrom aber 20 A über R_Cu fließen, hat das Kraftwerk nicht nur die 4-fach höheren Leitungsverluste zu tragen, die es nicht bezahlt bekommt, sondern die Zuleitung brennt einfach durch, da sie nicht dafür ausgelegt ist. Das ist fast wie ein Überraschungsei: 1 Leitung und gleich 2 Überraschungen.
Nun ist die Kombination L + C_p ein so genannter Schwingkreis, der keinen Strom in R_Cu verursacht, wenn man ihn richtig abstimmt, wie wir schon festgestellt haben. Das ist aber nicht so ganz einfach, wie man sich vorstellen kann. An den Verbrauchern kann man nur begrenzt etwas machen, schon alleine weil das teuer wird und auch nicht immer die Lösung bringt, da in einem Netz ja viele Verbraucher hängen. Die Kompensation wird daher von den Versorgern übernommen, zumal die ja auch an der Verlustoptimierung interessiert sind.
Die haben aber zusätzlich ihre eigenen Probleme. Ca. 100 konventionelle Kraftwerke speisen alleine in Deutschland Strom ins Verbundnetz, das aus Hoch-, Mittel- und Niederspannungsnetzen besteht. Das wäre noch nicht so schlimm, denn das hat man seit fast 100 Jahren im Griff. Hinzu kommen jedoch derzeit 27.000 Windkraftanlagen mit unterschiedlichen Eigenschaften und wechselnden Einspeiseleistungen. Nicht nur das Problem, die vom Kunden benötigte Leistung jeweils auf die Sekunde genau zur Verfügung zu stellen wird aufgrund der EE-Anlagen immer schwieriger, auch die Blindstromkompensation, die manchmal unter dem Pseudonym „Kosinus Phi“ auftaucht, macht bei diesen Größenordnungen zunehmend Probleme. Mit jedem abgeschalteten konventionellen Kraftwerk mehr, weil deren Kompensationsleistung ausfällt. Und es geht dabei eben nicht nur darum, dass die Verluste minimiert werden, sondern nicht durch eine Fehlbelastung der Trafo an der nächsten Ecke abfackelt (was häßlich ist, da die i.d.R. eine Ölkühlung besitzen).
Echte Stomausfälle deswegen sind zwar bislang selten, aber das liegt auch am Fortschritt der Elektronik. Mit den Steuerungstechniken, die vor einigen Jahren noch eingesetzt wurden, gäbe es inzwischen täglich Blackouts. Notregeleingriffe gab es in den 1990er Jahren 1-3 pro Jahr, heute gibt es diese Anzahl pro Tag (!). Die Kosten allein dafür belaufen sich inzwischen auf über 1 Mrd. €.
Was mit dem Stromnetz gemacht wird, ist in etwa vergleichbar mit einem LKW-Reifen auf einem moldawischen Bananenlaster: das Profil ist komplett weg, stellenweise kommt die Stahlarmierung schon durch, aber noch hält er, d.h. austauschen nicht notwendig. Irgendwann fliegen die Fetzen dann aber doch dem nächsten Fahrzeug auf der Autobahn in die Scheibe und der Laster in die Botanik. Die BAG zieht solche Laster daher regelmäßig aus dem Verkehr. Beim Stromnetz wird aber nicht nur nichts getan, es wird auch hochoffiziell noch Material abgehobelt (durch weitere EE-Anlagen), um „den Reifen noch leichter zu machen“. Toll!