Weiter so? – Weiter so!

Demokratie soll ja eine Staatsform sein, in der der einzelne Bürger Einfluss auf die politischen Geschehnisse hat. Natürlich kann nicht jeder selbst mitreden, weshalb man Vertreter wählt, die stellvertretend die Entscheidungen treffen.

Vertreter wählt man einerseits persönlich, um auch bei Bedarf einen konkreten Ansprechpartner zu haben, andererseits aber auch indirekt nach den von ihnen vertretenen Ansichten. Damit das übersichtlich bleibt, organisieren sich die Vertreter in Parteien, in deren Programmen die Ansichten zusammen gefasst sind.

In der BRD werden jeweils die Hälfte der Abgeordneten direkt, die andere Hälfte indirekt gewählt. Die indirekte Wahl schafft die Voraussetzung dafür, dass auch Ansichten von kleinen Gruppierungen eine Chance haben, in die Diskussion einzugehen. Bei ausschließlicher Direktwahl würden bestimmte Ansichten mit ziemlicher Sicherheit nicht zum Zug kommen.

Bis hierhin hat sich das System aber bereits zwei Schönheitsfehler eingehandelt:

(1) Die indirekte Wahl erhält durch so genannte Überhangmandate ein Übergewicht, d.h. es sind mehr indirekt als direkt gewählte Vertreter im Parlament. Indirekt gewählte Vertreter sind aber keine Ansprechpartner der Wähler, weil er sie kaum persönlich kennt, außerdem begünstigen die Überhangmandate die großen Parteien, so dass die kleinen schlechter zum Zug kommen.

(2) Man kann Parteien nur nach der Summe der Programme wählen, nicht aber nach Standpunkten in einzelnen Sachfragen. Zumindest für die Wähler, die sich tatsächlich mit den Inhalten beschäftigen, wird eine Wahl häufig so zu einer Wahl des kleineren Übels.

Natürlich existieren zu den meisten Angelegenheiten verschiedene Meinungen, was es erfordert, dass die Abgeordneten diskutieren und sich auf irgendetwas einigen. Und es existieren unvorhergesehene Angelegenheiten, in denen die Abgeordneten auch etwas beschließen müssen. Oder es ist absehbar, dass die Umsetzung vorher festgelegter Programmpunkte schief gehen wird. Die Abgeordneten sollen daher ihre Entscheidungen nach ihrem Gewissen treffen. Was leider zu einem weiteren Schönheitsfehler führt:

(3) Die Gewissensentscheidung, die die notwendige Freiheit in den Entscheidungsprozessen gewährleisten soll, wird dummerweise von den meisten Abgeordneten dahingehend missinterpretiert, dass sie gegenüber ihren Auftraggebern an gar nichts gebunden sind und tun und lassen können, was sie wollen. Letzteres ist in der Tat nur schwer einzugrenzen.

Weitere sehr entscheidende Webfehler sind bei der Bildung der Regierung zu finden, weil sie in Summe das Prinzip der Gewaltenteilung mehr oder weniger komplett aushebeln.

(4) Die Regierung wird vom Parlament gewählt. Was dem Parlament eine große Kontrollmacht verleiht, deren Notwendigkeit man aber durchaus bezweifeln kann. Die Regierung soll nämlich die Gesetze des Parlaments ausführen, d.h. das Parlament legt den Handlungsrahmen ohnehin fest.

(5) Die Regierung wird durch eine auf Dauer mehrheitsfähige Koalition gewählt, wozu diverse Absprachen getroffen werden, die nicht nur die Programme der Parteien verwässern, sondern eine Opposition fast überflüssig machen.

Webfehler (4) ist unnötig, wie die recht gut funktionierenden Staaten zeigen, in denen Regierung und Parlament getrennt gewählt werden. Z.B. die USA oder auch Frankreich. In Folge ist auch Webfehler (5) unnötig, denn eine Regierung kann durchaus erfolgreich arbeiten, wenn sie im Parlament oder einem Teilparlament nicht die Mehrheit besitzt, wie beispielsweise derzeit (und schon häufiger) in den USA. Webfehler (5) ist auch nicht notwendig, wenn (4) besteht, denn eine Regierung kann auch eine Minderheitsregierung sein, d.h. sie muss für jedes Vorhaben eine Mehrheit suchen und gleicht dadurch sogar Webfehler (2) aus. Dänemark ist ein Beispiel dafür: eine Mehrheitsregierung ist dort die absolute Ausnahme und trotzdem bekommen die Dänen vieles besser hin als die Deutschen.

Da die Parteien ähnlich strukturiert sind wie der Staat, endet alles in faulen Kompromissen, die oft weder die Wähler noch die Parteimitglieder überzeugen. In den letzten Jahren in zu vielen faulen Kompromissen und Fehlentscheidungen, was dazu geführt hat, dass den Parteien die Wähler und die Mitglieder weglaufen. Nach einem Hoch durch who-the-fuck-is-Schulz sind der SPD ähnliche viele Parteimitglieder abhanden gekommen wie Wähler, ein Großteil der CDU hat sich in der AfD organisiert, die konservativen Reste in der CDU werden von der Parteiführung verteufelt. Man sollte doch meinen, dass irgendwann bemerkt wird, dass etwas nicht stimmt.

In Ostdeutschland wählen inzwischen 1/4 – 1/3 der Wähler die AfD. Wie man es auch dreht und wendet, ein klarer Auftrag der Wähler an das Parlament, Positionen der AfD sehr stark zu berücksichtigen. Positionen, die übrigens fast wörtlich dem CDU-Parteiprogramm von 2002 entnehmen sind, aber heute allen Ernstes als „Nazi“ bezeichnet werden. Nur findet genau das nicht statt. Unisono heißt es: mit denen reden wir nicht! Dabei ist reden nun genau das, was dieselben Leute als Kern der Demokratie ausgeben. Und es bleibt auch nicht beim nicht miteinander reden. Man spricht zwar nicht mit der AfD, aber man hört ihr genau zu, um anschließend alles, was sie vorschlägt, ohne Ausnahme nicht zu machen. Also nicht nur nicht berücksichtigen, sondern aktiv das Gegenteil ins Werk setzen, so unsinnig es auch sein mag.

Das sieht nun in der Praxis anscheinend so aus, dass der Wahlgewinner, der knapp vor der AfD liegt, Splitterparteien als Koalitionspartner hinzu nehmen muss, um eine Mehrheit zu bilden. Beispielsweise eine 30%-CDU nun eine 8%-SPD und eine 8%-Grüne. Der Erfolg von der Sache: die insgesamt nur die Hälfte der Parlamentsstimmen des Markführers innehabenden Splitterparteien werden wesentlich stärkeren Einfluss auf die Geschicke haben als der Marktführer selbst, denn ohne sie geht es nicht. Sie können die Bedingungen diktieren, die der große Bruder dann verantworten darf. Und genau so spielt sich die 8%-SPD auf: sie habe vom Wähler einen Auftrag erhalten.

Statt nun endlich aufzuwachen wird mit einem minimalen Stimmenvorsprung business as usual betrieben. Abgewählte Parteien wie die SPD, die Linke und auch die Grünen werden dafür sorgen, dass die Politik weiterhin eine Fundamentalopposition gegen die AfD darstellt (eine linke [kommunistische] Tradition, wenn man sich die Weimarer Zeit anschaut, in der die SPD allerdings noch ziemlich bürgerlich war). Grob formuliert: der Willen von 1/3 der Wähler wird komplett ignoriert und ins Gegenteil verkehrt, und auch der Willen von bis zu 1/3 der weiteren Wähler, die CDU oder SPD in der Hoffnung auf eine Besinnung gewählt haben, wird dadurch konterkariert. Letzten Endes verliert durch diese Politik die große Mehrheit der Wähler, denn es sieht nicht so aus, als würden sich die Chefs von CDU und SPD damit anfreunden können, das einzig Richtige in einer solchen Situation zu machen: die Bildung einer Minderheitsregierung zu versuchen. Vermutlich würde das funktionieren, denn dazu genügt bereits eine weitgehende Stimmenthaltung seitens der AfD. Und es wäre sogar eine Möglichkeit, ohne größeren Gesichtsverlust aus der Fundamentalopposition auszubrechen. So wie es sich andeutet, werden Parteien, die in Summe 15% der Stimmen erhalten haben, werden in Vielem das Sagen haben, streng nach dem Motto

Weiter so? – Weiter so!