Eine kurze Geschichte der Menschheit

Kapitel 11: Kultur und Wissenschaft und so

In diesem Kapitel werden wir uns teilweise bis in die Jetztzeit bewegen, weil es einige Entwicklungen erst seit kurzem gibt und andere immer noch im Aufwind sind, obwohl man das nicht erwarten sollte. Beginnen wir mit dem Ingenieurwesen.

Das erste Projekt, dass die frühen menschlichen Ingenieure angingen, hatte es in sich. Mit ziemlicher Sicherheit betrafen die ersten Projekte Bewässerungsanlagen für Äcker. Die hier gesammelten Techniken und Erfahrungen waren die Voraussetzungen für das erste sichtbare Großprojekt, die ägyptischen Pyramiden um 3000 v.Chr., sowie andere große Bauprojekte von Tempeln, Palästen und Festungen. Viel Erfindungsgeist wird bis heute vor allem in die Militärtechnik gesteckt. Andere Leute umzubringen scheint wichtiger als ihnen das Leben leichter zu machen, und wenn wir aus unserer heutigen technisierten Welt das wegdenken, was nicht auf dem Mist des Militärs gewachsen ist, würde erstaunlich viel nicht oder allenfalls erst rudimentär da sein.

Mit den repräsentativen Bauprojekten entwickelte sich die Kunst. Götter und Herrscher waren in Stein zu verewigen oder farbig an Wände zu malen, später auch in Bronze zu gießen, und Musik und Literatur entwickelte sich zur Unterhaltung. Man muss sich das wohl so vorstellen, dass Künstler zunächst hervorragende Handwerker waren, über ihr Handwerk hinaus aber auch in der Lage, Motive zu gestalten. Dabei entwickelten sich die Künste schrittweise und nicht kontinuierlich: Statuen und Gemälde folgten jeweils über längere Perioden einem bestimmten Stil, bis jemand eine neue Idee hatte und sie umsetzte. Die Kunstwerke waren in der Regel Auftragsarbeiten: Herrscher oder Kirchenleute gaben bestimmte Motive in Auftrag, die eine Kunstwerkstatt dann mit mehr oder weniger großen Freiheiten umsetzte. Der Preis richtete sich nach der Qualität der zuvor abgelieferten Werkstücke, einen großen Teil der Arbeit verrichteten aber auch Handwerker und Lehrlinge nach den Vorgaben ihres Meisters. Natürlich gab es in fast allen Perioden Primadonnen unter den Künstlern, die horrende Preise verlangen konnten und sich auch schon mal die Freiheit nahmen, die vereinbarten Lieferzeiten ziemlich zu überziehen oder einen übernommenen Auftrag auch einmal nicht auszuführen.

Der Ehrgeiz der Künstler lag naturgemäß darin, ihre Techniken immer weiter zu verbessern. Das wurde irgendwann problematisch: die Malerei war im 17. Jahrhundert in der Lage, fotografische Genauigkeit zu erreichen, ohne dass man in der Lage wäre, solche Motive in der Realität zu konstruieren, die Bildhauerei schuf bis in den Klassizismus des 19. Jahrhunderts hinein Plastiken, die lebensechter und lebendiger als die lebenden Modelle aussehen, die Musik hangelte sich bis zu großen Orchesterwerken und Opern empor. Mit dem Impressionisten verabschiedete sich die Kunst allerdings auch allmählich aus der Rolle des Auftragnehmers. Künstler machten Kunst um der Kunst willen. Und machte sich auf die Suche nach weiteren Ausdrucksmöglichkeiten. Und beides ist ein Problem.

In der Suche nach neuen Ausdrucksformen wird die Kunst immer flacher. Zwar gibt es nach wie vor immer mal wieder rechts ansprechende Stücke, aber die meisten könnten heute auch von Kindern im Vorschulalter erschaffen worden sein oder ähneln einer Müllhalde oder einem Messy-Haushalt. Performance- und Konzeptkünstler verzichten teilweise ganz auf das Handwerk und präsentieren sich komisch verkleidet direkt oder per Video. Dabei wird die Sprache immer pompöser: in einem Buch benötigt der Text zu Michelangelos David weniger Raum als zum Werk eines „Künstlers“, dem der Weißleimtopf unbemerkt auf der Werkbank umgekippt war und der die Tischplatte samt festgeklebtem Werkzeug als Kunstwerk präsentiert (das ist kein Witz). Die Einstellung wird recht gut mit einer Äußerung einer „Künstlerin“ in der ZEIT wiedergegeben, die sich weigerte, sich im Studium mit der Perspektive zu beschäftigen, „weil das nicht meinem künstlerischem Ausdruckwollen entspricht“ – für mich als ehemaligem Hochschullehrer nichts anderes als das Eingeständnis, dass sie es eben nicht kann. Joseph Beuys, der fallweise demonstrierte, dass er es doch konnte, bemerkte suffisant zu seinen „Ist das Kunst oder kann das weg?„-Exponaten „warum soll ich mich anstrengen, wenn die Gesellschaft betrogen werden will?„. Moderne Musik entspricht auch eher den Geräuschen, die ich aus Duisburger Stahlwerken im Gedächtnis habe. Die eigentliche Kunst scheint eher darin zu liegen, dass Musiker die Noten noch spielen können. Kunst soll nicht mehr wie früher erfreuen, sondern schockieren und „bewusst machen“, wobei die Möchtegernebewusstmacher übersehen, dass sie mit Müll nur demjenigen etwas bewusst machen können, der es schon weiß.

Das zweite Problem liegt im Preis. Damit meine ich nicht die Summen, die für alte Meister gezahlt werden, obwohl man auch das nur noch „pervers in höchster Vollendung“ nennen kann. Um den Müll an den Mann oder die Frau zu bringen, schauen sich Galerien bestimmte Künstler nach kaum durchschaubaren Kriterien aus (vermutlich gibt es auch keine), promoten diese bei Leuten mit zu viel Geld und teilen sich den Gewinn mit den Künstlern. Kunst ist nicht das Werk, Kunst ist der Name des Künstlers – eine fragwürdige Definition, da der Müll auch kopiert werden kann. So stellte sich kürzlich beispielsweise heraus, dass ein durchaus ansprechendes Werk eines Künstlers der 1920er Jahre (das trotzdem im Kunstunterricht einer 12. Klasse geschaffen worden sein könnte), das vom Museum auf einen Wert von mehreren 100.000 € geschätzt wurde, eine Fälschung war (möglicherweise von einer 12. Klasse). „Aus Kunst wird Sperrmüll“ titelte die ZEIT und sinnierte, ob man vielleicht noch 60 € dafür bekommen könnte (viele hätten durchaus auch deutlich mehr bezahlt, weil es halt hübsch aussah) oder es besser gleich wegwerfen sollte.

Kunst ist heute Anlagevermögen. Man kauft einen „bedeutenden“ Künstler dem Namen nach und zahlt viel Geld in der Erwartung, das Zeug nach einigen Jahren in der Garage oder auf dem Dachboden für noch viel mehr Geld weiter verkaufen zu können. Dabei müssen die Preissteigerungen schon recht enorm sein, denn An- und Verkauf läuft über Aktionshäuser, die eben auch die Echtheit bestätigen und dem Käufer dafür deutlich mehr Geld abnehmen als die Zuschlagssumme und dem Verkäufer deutlich weniger als die Zuschlagssumme auszahlen. Die größten Auktionshäuser erreichen Umsätze von 7 Mrd. €, und ein beträchtlicher Teil davon bleibt bei ihnen hängen. Dumm für den Käufer ist nur, wenn sich irgendwann herausstellt, dass nicht Hermann Meier sondern Willi Schulze das Objekt erzeugt hat (Wertverlust 100%) oder er Geld braucht und keiner in den Schrott investieren will. Einmal salopp ausgedrückt: der Kunstmarkt hat sich von einem Auftragsgeschäft, bei dem der Kunde eben den Mercedes oder Rolly Royce bekommen hat, den er sich wünschte, zu einem Betrugsgeschäft entwickelt, bei dem gnadenlos abgezockt wird, und zwar Reiche, die sonst selbst immer abzocken.

Neben der Kunst kann man sich noch die Wissenschaft vornehmen. Die Ingenieurkunst haben wir schon, und Naturwissenschaften und Medizin kann man auch relativ schnell abhandeln. Deren Entwicklung wurde, besonders in den letzten 2000 Jahren, durch die Religionen stark behindert, weil ihre Ergebnisse im krassen Gegensatz zum religiösen Hokuspokus stehen. Es ist dabei modern, den Islam und das Judentum als besonders wissenschaftsfreundlich im Gegensatz zum Christentum zu feiern, aber das ist ein Zweckmärchen und entspricht nicht der Realtität. Im SCIENTIFIC AMERICAN erschien in den 1990er Jahren ein Artikel, in dem nachgewiesen wurde, dass die gerne genannten Wissenschaftler ihre Tätigkeit fast immer in den Grenzgebieten zwischen verschiedenen Religionen ausführten und fast stets der Minderheit angehörten, die von ihrer Religion nicht mehr vollständig kontrolliert werden konnten. Wer mitten in dem kontrollierten Gebieten operierte, erging es wie Galileo und anderen, die froh sein konnten, wenn sie nicht im wahrsten Sinne des Wortes gegrillt wurden. Erst mit dem Ende der Kirchenmacht in Mitteleuropa durch die Folgen der französischen Revolution konnte sich hier die Naturwissenschaft frei entfalten.

Anders bei den Geisteswissenschaften, die manche auch lästernd als Geschwätzwissenschaften bezeichnen. Über die Theologie muss man nicht viel Worte verlieren, verliert sie doch sehr viele Worte an reine Hirngespinste. Daneben existierte die Philosophie, heute ergänzt durch Soziologie und andere Gebiete. Die Philosophie nimmt für sich in Anspruch, das wissenschaftliche Denken systematisiert zu haben. Aus Sicht der Ingenieure, Naturwissenschaften und Mathematiker aber viel Geschwafel um Prinzipien, die sie schon immer und auch ohne Philosophen ausgearbeitet und befolgt haben. Wie überall gibt es natürlich auch hier Brauchbares, aber die Geisteswissenschaften haben in der Regel mit einem Anfangsproblem zu kämpfen: der Startpunkt für eine Theorie wird meist willkürlich festgelegt und die Theorie besteht darauf, ein Phänomen aufgrund dieser Startbedingungen erklären zu können. In den Naturwissenschaften sind die Startbedingungen eine offene Diskussionfläche, die Theorie nur eine Hypothese, und die eigentliche Theorie ist erst geschaffen, wenn Phänomene sicher vorausgesagt werden können. Insbesondere Soziologen wissen wohl im Geheimen um diesen Mangel, hat doch jeder eine eigene Theorie und ist jeder mit einer anderen ein Schwachkopf, dem man so lange leere komplizierte Worthülsen an den Kopf wirft, bis dem keine Entgegnung mehr einfällt. Erstaunlich an der Sache ist nur, dass den Geisteswissenschaften in einer Zeit, in der den Naturwissenschaften deutlich näher stehende Gebiete verlässliche Aussagen liefern können, wesentlich größere Beachtung geschenkt wird als jenen. Es ist wohl einfacher, Worthülsen zu folgen als Fakten.

Nichts geändert hat sich übrigens in den Gebieten, die gerne Modernität für sich in Anspruch nehmen: in der Wirtschaft wird nach wie vor nach den Prinzipien operiert, die schon in der Zeit der Römer (dokumentiert) bekannt waren, und es werden auch die gleichen Blasen und Wirtschaftscrashes produziert. Und auch die Politik ist bei aller Betonung der sich schnell ändernden Welt immer noch auf dem gleichen geistigen Niveau eines Dschinghis Khan. Schön, dass es auch Konstante gibt.

 

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