Parlament leitet sich vom französischen parler ab. Wer’s mehr italienisch hat, könnte auch parlare nehmen. Als deutscher Begriff wäre Schwatzbude ebenfalls sehr angemessen, auch wenn das einige schon als Majestätsbeleidigung ansehen.
Parlamente sind heute oft ähnlich Hörsälen in den Unis: Stuhlreihen mit der Ausrichtung zum Zentrum, wo jemand, der auch den Titel „Oberster Größter Schwätzer“ tragen könnte, residiert, jeder Stuhl mit Pult zur Ablage des Schreibblocks und weiterer Unterlagen ausgestattet, um sich Notizen zu machen und der Vorlesung folgen zu können. Dann dürfen Leute etwas vortragen, und anschließend dürfen alle Fragen stellen, wenn sie etwas nicht verstanden haben, was wie in Universitätshörsälen auch in Schwatzbuden die Regel ist. Die Ähnlichkeiten gehen sogar noch weiter: normalerweise macht sich niemand Notizen (außer ein paar Strebern, die man abweichend von Hörsälen in Schwatzbuden gleich in eine besondere Bank gesetzt hat und Protokollanten nennt), sondern man schwatzt mit dem Nachbarn, daddelt irgendwelche Egoshooter-Spiele auf dem Handy rum oder versucht sich in der hohen Kunst des Studierens, nämlich der perfekten Trennung von Körper und Geist, ohne dabei aufzufallen (große Zen-Meister gehen inzwischen nicht mehr in die Natur und setzen sich unter einen Wasserfall, sondern an die nächste Uni).
Falls man überhaupt kommt. Abgeordnetendiäten sind nämlich wie Bafög: man bekommt sie, ob man hingeht oder nicht. Bafög ist nur deutlich weniger. Und so sind die Schwatzbuden in der Regel nicht mehr als zu 1/4 gefüllt. Nur zu besonderen Gelegenheiten, wenn es beispielsweise vor Weihnachten Glühwein gibt oder man feststellt, dass der Hörsaal besser geheizt ist als die Studentenbude, kommen mehr.
Spitzenreiter beim Leersein ist nach meinen Eindrücken das EU-Parlament. Da bekommt man nicht nur am meisten Bafög, man geht auch am wenigsten hin. Dafür ist das EU-Parlament echt Multi-Kulti, weil Leute aus 26-27 Ländern drinsitzen. Oder eben nicht. Da jeder dieser Studenten ein Anrecht darauf hat, die Vorlesung in seiner Muttersprache zu hören, sind auch entsprechend viele Dolmetscher am Werk, und bei vielen Veranstaltungen sind mehr Dolmetscher anwesend als Abgeordnete.
In solchen Buden soll, wie der Name sagt, geschwatzt werden, und zwar über das Wohl und Wehe des vertrenen Volkes (normalerweise geht es aber nur um das Wehe des Volkes und das Wohl des eigenen Bankkontos). Qualitätsmedien, die die Veranstaltungen schön reden müssen, reden auch vom „verbalen Schlagabtauschen“ zwischen den verschiedenen Gangs, auch Parteien genannt, weil sie eher dafür bekannt sind, dauernd auf irgendwelche Parties unterwegs zu sein, die entweder das Volk bezahlt oder Leute, die noch stärker am Wehe des Volkes interessiert sind. Aber das ist natürlich nur Getue. Wenn man wirklich am Schlagabtausch interessiert sind, muss man schon in die Türkei – nee, da nicht mehr, seit Adolf Erdogan das Sagen hat, sondern nach Südamerika oder so gehen. Da kommt es schon vor, dass sich die Gangmitglieder an den Kragen gehen und zum Wohl des Volkes (zumindest zur Erheiterung) sich gegenseitig in de Fresse hauen.
Wenn man mal von der Antike absieht, ist die Parlamentskultur in Großbritannien entstanden. Leider sind einige der wirklich brauchbaren Sitten nicht übernommen worden und auch dort nicht mehr in Mode. Gemeint ist die Abrechnung mit der Regierung, die im 17. Jahrhundert damit begann, dass man dem amtierenden König Karl I. schwere Amtsvergehen nachwies und das Urteil: „Er ist 6 Fuß groß und gut aussehend, ab morgen sei er nur noch 5 Fuß und mies aussehend!“ fällte. Obwohl ausdrücklich von Fuß die Rede war, schlug man ihm den Kopf ab, was in der weiteren Geschichte nicht wenigen Regierungen teilweise auch wiederfuhr. Regelmäßig wurde die andere Partei bei der nächsten Wahl gewählt, was Nachrücken in die Ämter erlaubte, weil die alten Amtsinhaber meist im Tower entsorgt wurden. Fürwahr ein schöner, aber leider abhanden gekommener Brauch.
Aber auch heute noch sollte das britische Parlament als Beispiel für die anderen Schwatzbuden herhalten. Es hat nämlich einige Eigenschaften, die anderen Parlamenten gut anstehen würden.
(1) Der Hörsaal ist zu klein. Das britische Parlament ist wohl das einzige, in dem nicht alle Abgeordneten einen Sitzplatz haben. Manche müssen sich mit einem Stehplatz begnügen.
(2) Die Plätze haben keine Ablage und ähneln eher einem alten Kino. Die Abgeordneten haben gar keine Chance, mit irgend etwas rumzudaddeln, sondern müssen tatsächlich zuhören. Was einer Debattenkultur nur gut tut.
(3) Zumindest wenn das Fernsehen da ist, ist der Saal immer rammelvoll (bei uns rammeln die Abgeordneten derweil lieber im Hinterzimmer). Die Leute beweisen dem Publikum, dass sie auch für ihr Geld zumindest präsent sind.
Ob bei der britischen Methode mehr herauskommt als bei uns, werden wir wohl bald sehen. Ein wenig mehr Britishness wäre allerdings schon angebracht, wenn vom Volk, um dessen Wehe es ja permament geht, erwartet wird, dass es den ganzen Schwatzsinn noch irgendwie Ernst nimmt.