Eine kurze Geschichte der Menschheit

Kapitel 6: Erfindungen

Gemäß den Ausführungen des letzten Kapitels werden wir in den folgenden in allgemeiner Form vom Menschen sprechen und nicht zwischen Typen differenzieren. Im Laufe der Entwicklung nahm die Hirnkapazität und damit die Intelligenz, was immer man damit auch bezeichnen will, zu, und neuere Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass der früher oft als etwas dümmlich hingestellte Neandertaler dem nachfolgenden Phänotyp in nahezu nichts nachgestanden hat. Das immer größer werdende Gehirn hat sich mit hoher Wahrscheinlichkeit im Zusammenhang mit den immer ausgefeilter werdenden Kommunikationsmöglichkeiten über die Sprache entwickelt. Eine bessere Kommunikation erlaubt eine effektivere Aufteilung und Bearbeitung von Aufgaben, die Sprache führt schließlich auch zu Abstraktionsmöglichkeiten bei der Mitteilung an andere (Zukunft, Vergangenheit, abstrakter Informationsaustausch ohne direkte Erfahrung usw.), und deren Verarbeitung und Speicherung erfordert schließlich eine höhere Verarbeitungskapazität. In welchen Schritten diese Entwicklung verlaufen ist, lässt sich wieder einmal nicht feststellen, da man fossilen Schädelresten eben nicht ansehen kann, zu welchen Laut- und Gedankenäußerungen die ehemaligen Inhaber fähig waren, den Neandertaler, dessen Hirnkapazität im Schnitt größer war als die seines Nachfolgers, aber nur mit primitiven Grunzlauten und Gesten auszustatten, wie es in Filmen und Büchern immer noch verbreitet wird, dürfte wohl um Einiges neben der Realität liegen.

Die erste Erfindung des menschlichen Vorläufers dürfte die tragbare Waffe gewesen sein (siehe Zusammenhang mit dem aufrechten Gang), wobei es sich vermutlich anfangs nur um zufällig passende geformte Stöcke gehandelt haben dürfte. Den Begriff Erfindung darf man wohl generell nicht überstrapazieren. Auch der heutige Mensch ist in der Regel kein Erfinder, sondern nur ein gelehriger Nachahmer. Wird ihm ein Gerät zusammen mit einer bestimmten Tätigkeit vorgestellt und lässt sich die Arbeit damit effektiv bewältigen, wird alles bereitwillig übernommen und die einzelnen Arbeitsschritte nach Notwendigkeit auch trainiert, bis sie sitzen. Einige offensichtliche Werkzeuge kann nahezu jeder problemlos in Betrieb nehmen, aber systematisch Zusammenhänge zu entwickeln scheint auch heute nur wenigen gegeben zu sein. Grob formuliert, greift jeder, der ein Loch graben soll, zum schaufelähnlichen Gebilde statt zum Stock, ist aber nur der Stock vorhanden, wird es die Ausnahme sein, wenn sich jemand zunächst überlegt, ob er eine Schaufel daraus formen kann; die meisten werden mit den Stock den Boden lockern und die Erde mit den Händen fortschaffen. Je abstrakter die Denkprozesse sein müssen, um zu einer besseren Problemlösung zu gelangen, desto seltener wird man jemanden finden, der sich an ihnen versucht.

Bezogen auf die gesamte Menschheitsgeschichte, worunter wir die Zeit der Vorläufer des Menschen und die Zeit des eigentlichen Menschen zusammenfassen, vergingen immer wieder riesige Zeitintervalle, bis wirklich einmal etwas völlig Neues erfunden wurde, wobei das Meiste im Dunkeln liegt und dort wohl auch bleibt. Werfen wir einige Blicke darauf:

  • Der Knüppel zum Zuschlagen wurde ja schon erwähnt, spitz abgebrochene gerade Stämmchen eignen sich aber auch aus Speer zum Zustechen. Auf den Gedanken, die Spitze durch Anschleifen auf einer Steinfläche systematisch zu erzeugen, setzt aber schon Überlegen und eine geeignete Steinfläche voraus.
  • Feuer dürfte in der Umwelt keine Seltenheit gewesen sein, und die Erfahrung, dass Speerspitzen durch das Feuer noch härter werden und Nahrung besser schmeckt oder überhaupt erst verwertbar wird, wird schnell gemacht worden sein. Das Feuer systematisch zu nutzen wird aber erst möglich, wenn der Mensch zum Behüter des Feuers wird, d.h. Glut unabhängig von einem Brand aufbewahren und erhalten kann, und von dort aus ist es noch ein weiter Weg, Feuer nach Bedarf auch ohne Glut aus geeigneten Materialien mit Hilfe von Werkzeugen entzünden zu können.
  • Schon Menschenaffen sind in der Lage, sich primitive Unterstände aus Zweigen und Blättern zu bauen. Noch besser geeignet sind Häute erlegter Tiere, aber die muss man auch erst einmal systematisch bearbeiten und zusammenfügen lernen, bevor man sie über ein Stangengerüst legt. Wann sind die ersten Zelte entstanden?
  • Durch Hebel Kräfte zu vergrößern oder durch Rotation größere Wurfweiten zu erreichen ist etwas, was durch Spiel oder Zufall erkannt werden kann. Daraus nun treffsichere Speer- und Steinschleudern zu entwickeln ist aber ebenfalls wieder eine andere Hausnummer.
  • Knochen und Horn lassen sich alternativ zu Holz als Werkzeuge oder Waffen einsetzen, daraus aber Compound-Geräte zu entwickeln, die noch bessere Eigenschaften besitzen, verlangt viele Überlegungen und spezielle Techniken. Ähnliches gilt für Steine, die zur Bearbeitung aller möglicher Werkstoffe geeignet sind, wenn sie nur scharfkantig genug sind. Anstatt Steine zu zerschlagen, um zufällig geeignete Stücke zu erhalten, zunächst die geeignete Steinsorte zu finden und dann scharfe Kanten systematisch herzustellen dürfte aber ebenfalls ein längerer Lernprozess gewesen sein.
  • Spätestens mit Steinwerkzeugen könnten alternativ zu Zelten aus Fellen auch Hütten aus Holzstämmen, abgedichtet mit Moos oder Schlamm, zum Repertoire der neuen Erfindungen gehört haben.

Manches in der Liste erscheint uns vielleicht trivial, aber man darf dabei nicht übersehen, dass sich die notwendige Intelligenz nur langsam entwickelte und wir das, was erzeugt werden soll, bereits kennen, also nichts neu erfinden. Eine Vorlage auf einem anderen Weg zu reproduzieren ist aber deutlich einfacher als etwas zu erfinden. Abgesehen von den Steinwerkzeugen haben die meisten dieser Erfindungen den Nachteil, das sie nicht als Funde nachweisbar sind. Auch Hütten aus Holzstämmen werden erst archäologisch nachweisbar, wenn die Erbauer Gruben anlegen oder Pfosten als Fundamente im Boden versenken, was aber sicher erst in späteren Phasen, in denen die Siedlungen dauerhafter wurden, erfolgte. Steinwerkezeuge – Stichwort Faustkeile – sind schon aus recht frühen Zeiten bekannt und haben später einen nahezu unglaublichen Spezialisierungsgrad erreicht, aber auch hier muss man relativierend wieder anmerken, dass sich über riesige Zeiträume nichts tat (zumindest soweit sich das aus Funden schließen lässt, die wiederum die bereits angesprochenen zeitlichen Lücken aufweisen). So lange es für das Überleben nicht notwendig war, war der frühe Mensch anscheinend ausgesprochen erfindungsfaul. Ein weiteres Beispiel, wie schwer man sich mit systematischen Erfindungen tat: schwere Lasten wurden Jahrtausende mittels Rutschen oder untergelegter runder Baumstämme bewegt, die man immer wieder ans andere Ende tragen musste, bevor erst fast schon in der historisch dokumentierten Zeit jemand auf die Idee kann, aus den Baumstammrollen Scheiben zu Rädern zu schneiden, durch eine Achse verbinden und einen Wagen zu bauen.

Etwas bewegter ist der Erfindungsgeist erst mit der teilweisen oder vollständigen Sesshaftigkeit geworden. Dem widmen wir uns aber in einem anderen Kapitel

 

zu Kapitel 1

zu Kapitel 7

Hinweis: Kapitel 5 wurde am 22.9.18 in wesentlichen Teilen ergänzt