Klassifizierung

Wenn man einen flotten Spruch auf Lager hat, aber nicht weiß, wem man den zuordnen soll, gibt es nur eins: „Kurt Tucholsky hat gesagt: … „. Tucholsky funktioniert immer, man darf sich nur nicht beeindrucken lassen: Beispiel: „Kurt Tucholsky hat gesagt: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ – „Stammt das nicht von Jesus?“ – „Ja, aber der hat es von Tucholksy!“ – Gott (und das ziehende Argument) ist immer bei den Standhaften.

Den Namen Tucholsky kennt jeder, aber kaum einer weiß, was er alles gesagt hat, und die meisten wissen noch nicht einmal, ob er Kabarettist, Schriftsteller oder nur der Hofbäcker von Wilhelm II. war oder gar immer noch Redakteur des FAZ-Feuilletons ist. Und jeder ist natürlich beeindruckt, wenn jemand anderes offenbar mehr weiß, und einen Teufel tun, das in Frage zu stellen. Und so hat Tucholsky von dem, was er angeblich gesagt hat, ca. 1/3 nicht gesagt und ein weiteres Drittel bei Jesus oder einem anderen geklaut. Ein Spruch, den man ihm manchmal in den Mund legt, lautet

Wer mit 20 kein Sozialist ist, hat kein Herz, wer mit 30 immer noch Sozialist ist, hat keinen Verstand. *)

Nun, es soll uns hier weder um Tucholsky (sieh Fußnote) noch den Sozialismus gehen, sondern um die Grundaussage, erlaubt sie doch gewisse Rückschlüsse auf den Menschen.  Im Kern steckt folgende Aussage dahinter: wenn man einer Idee begegnet, neigt man oft zu einer gewissen reflexionsarmen Euphorie. Die Idee wird Gut geheißen und energisch vertreten, wobei der Inhalt eigentlich nebensächlich ist. Es kann sich genauso um grüne Fantastereien handeln wie um rechtsextreme. Viele Ideen sind jedoch bei genauerem Hinsehen tatsächlich mehr oder weniger Fantastereien, die sich in der Realität oder bei genauerem Nachdenken als wenig haltbar erweisen. Das zu erkennen dauert seine Zeit, wesentlich ist aber, die Fehler zu erkennen und nicht die Augen zu verschließen, so dass sich im Laufe der Zeit eine pragmatischere Einstellung breit machen kann.

Die herbe Kritik (und die Klassifizierung) lautet: wer das nicht kann, ist irgendwie blöd, und die Gesellschaft zerfällt in Mitdenkende und sich pragmatisch Wandelnde und Blöde. Ich kann mich derzeit des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass eine Mehrheit blöd ist.

 

*) Um die Urheberbeschaft rangeln mindestens 6-7 Leute, unter denen man Tucholsky aber vergebens sucht. Zeitlich der erste ist (vermutlich) Benedetto Croce, auf den oft entwendete der Satz wohl sinngemäß zurückgeht