Im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise wird von Politik und Medien gerne auf christliche Tradition verwiesen, die uns die Aufnahme von Flüchtlingen zur Pflicht mache. Stimmt das?
Ja und Nein – oder eher Nein. Schaut man auf 2.000 Jahre christliche Geschichte, besteht von wenigen Ausnahmen abgesehen die christliche Tradition vorzugsweise darin, Leuten zu helfen in Situationen zu geraten, in denen sie Hilfe benötigen. Mit der Parole „gebet den Armen (Priestern der Kirche)“ wurden zwei Jahrtausende die Leute gnadenlos ausgeplündert, um Prälaten ein würdevolles Leben in jeder Form von Luxus zu gewährleisten. Die Ausplünderung ging auch zu keiner Zeit gewaltlos von statten: Bischöfe waren bereits im frühen Mittelalter Heerführer der Kaiser und Könige und noch bis Mitte der 1990er Jahre wurden Waffen der Armeen von Priestern gesegnet. US-Boys beten heute noch vor Kämpfen um die Unterstützung Gottes bei der gerechten Sache und möglichst viele Tote auf der anderen Seite. Eine christliche Hilfe wurde auch zum Erreichen des rechten Glaubens geleistet: wer nicht das richtige glauben wollte, wurde meist kurzerhand umgebracht, damit die Gläubigen unter sich bleiben konnten. K. Deschner beziffert die Verluste solcher Glaubensaktionen alleine bei der Eroberung Amerikas auf ca. 30.000.000 Menschen. Die Kirchen spielen bei der Vernichtung von Leben mit einigen bekannten Diktatoren zusammen durchaus in der ersten Liga. Christliche Tradition zur Hilfe ist eine Parole, die sich historisch nicht belegen lässt. Wer das etwas bissig findet, kann hier auch Bissigeres finden.
Wie sieht es nun aber mit dem menschlichen Sozialempfinden, der Hilfe für Notleidende aus, das ja durchaus in einem nicht geringen Umfang vorhanden ist? Der Mensch ist biologisch gesehen ein Herdentier, und Herdentiere praktizieren von Natur aus Hilfe untereinander. Wenn also Hilfebereitschaft für Flüchtlinge vorhanden ist, entspricht das der menschlichen Natur – irgendeine christliche Tradition ist da gar nicht notwendig (sondern eher hinderlich). Man nennt das Altruismus: bis zu einem gewissen Grad wird Hilfe geleistet, selbst wenn es Nachteile für den Helfenden mit sich bringt. Der Gedanke dahinter ist leicht verständlich: wenn ich heute helfe, hilft mir morgen (hoffentlich) auch jemand, wenn es mit schlecht geht. Da solche Hilfe in modernen Staaten kaum mehr auf persönlicher Basis funktioniert, wird sie durch eine Sozialgesetzgebung realisiert. Diese ist somit natürlich und ein Muss.
Allerdings ist der Urtrieb mit einem Gleichgewichtsgedanken verbunden: die Hilfe ist keine bedingungslose Hilfe, sondern Hilfe zur Selbsthilfe, d.h. der Geholfene hat die Verpflichtung, möglichst schnell wieder für sich selbst zu sorgen und den Helfenden zu entlasten. Schmarotzen und Parasitieren führt in natürlichen Gesellschaften zum Ausschluss des Schmarotzers. Wäre das nicht so, würde nach einiger Zeit eine kleine Gruppe auf Kosten der anderen leben. Natürlich traten solche Umstände in der Geschichte häufiger ein mit der Folge, dass sich die Profitierenden vorzugsweise mit Gewalt behaupten mussten und irgendwann das System in einer Revolution auseinander fiel. Ob es danach besser wurde, steht auf einem anderen Blatt.
Wesentlich daran ist, dass das Gefühl, ausgenutzt zu werden, Widerstand auslöst. Unsere Sozialgesetzgebung ist meiner Ansicht nach deutlich über das Ziel hinausgeschossen, Hilfe zur Selbsthilfe oder in bestimmten Fällen, in denen es nicht anders geht, auch Dauerhilfe zu leisten. Wer arbeitet, aber selbst ins Sozialkaufhaus gehen muss, weil er sich neue Geräte nicht leisten kann, und sieht, dass es anderen Leute mit Nichtstun besser geht und sie vom Sozialamt obendrein nagelneu Geräte bekommen, ist alles andere als damit einverstanden. Wenn dann obendrein von situationsfernen Medienleuten, Richtern und Gesetzgebern das Leben auf Kosten der anderen noch als Menschrecht bezeichnet wird, heizt das den Widerstand noch an.
Unter Berücksichtigung der natürlichen Regulationsmechanismen in der menschlichen Natur ist zunehmender so genannter Fremdenhass aufgrund der immer weiter verfahrenen Situation und der fehlenden Bereitschaft der Politik, auch nur ansatzweise Konsequenzen zu ziehen, kein Wunder. Weder christliche Tradition noch Rechtsextremismus sind die Antworten, sondern demonstrieren eher die mangelnde Denkfähigkeit.