Das Aaargh – Tal

Phase I: Schöne Gegend! Da möchte man bauen. Natürlich ganz vorne mit Blick auf das Tal. Dort wurde früher nicht gebaut. Warum wohl? Keine Ahnung, aber eine Häuserreihe geht ja wohl noch und man hat ja dann auch einen unverbaubaren Blick auf’s Tal. Also wird’s genehmigt.

Schöne Gegend! Da möchte man bauen. Natürlich ganz vorne mit Blick auf das Tal. Geht aber angeblich nicht, da bereits der vorderen Reihe zugesichert wurde, den Blich nicht zu verbauen. Aber man kennt ja jemanden im Bauamt. Und der braucht einen neuen Motor für sein Auto … kostspielig, aber nun hat man selbst ein Haus in der vorderen Reihe mit der Garantie, dass der Blick nicht verbaut werden kann.

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Schöne Gegend! Da möchte man bauen. Natürlich ganz vorne mit Blick auf das Tal. Geht aber nicht, da das Haus dann im Wasser stehen würde. Ende Phase I.

Phase II: Schöne Gegend! Da möchte man bauen. Natürlich ganz vorne mit Blick auf das Tal. Aber warum wurde da früher nicht gebaut? Ein Blick in alte Chroniken zeigt: dort kann es auch schon mal Hochwasser geben. Zwar selten, aber es passiert halt manchmal.

Früher nannte man das Jahrhundertereignis, heute Klimawandel, aber das Ergebnis ist das Gleiche. „Wäre mal wieder Zeit!“ meint das Wetter und ballt sich zusammen, unterstützt von diversen Maßnahmen wie Windrädern und abgeholzten Hängen, die mithelfen, das Unwetter länger am Ort des Geschehens zu belassen und das Wasser schneller abfließen zu lassen. Also „fänktet am reechnen“, wie man in der Gegend sagt. Und zwar heftig.

Phase III: dank der Technik weiß man frühzeitig, was kommt. Regenradar und aller sonstiger Schnickschnack verraten den Wetterfröschen, was da kommen könnte. Also gibt es Warnungen auf den entsprechenden Wetterseiten im Vorfeld und Stunden vorher ist man dort ziemlich sicher, was passieren wird. Nicht viele Stunden, zugegeben, aber doch genug Stunden, um zumindest die Leute in Sicherheit zu bringen. Dass die Häuslein u.U. weggeschwemmt werden, lässt sich nicht vermeiden. Dank der Meldeketten wissen alle Bescheid, also auch die Behörden bis hinauf zur zuständigen Ministerin. Und tatsächlich regnet es inzwischen, und zwar heftig.

Phase IV: die zuständige Ministerin ist aber im Vorfeld (die ersten Warnungen gab es bereits) abgereist. Dringende private Termine, Drohen eines Burnouts ob der permamenten Belastung, ständig neue Sprechblasen erfinden zu müssen, die Aussicht auf schlechtes Wetter – da ist es auf Malle (oder wo das nun war) doch besser. Ab in die Sonne! Sonne Scheiße wie im Aaargh-Tal muss man sich doch nicht antun.

Ähnlich trifft es andere Entscheidungsträger der Gegend wie Landräte. Die bringen nicht ihre Notfallpläne zum Laufen, sondern ihre Autos und ein paar Habseligkeiten in Sicherheit und antworten auf Fragen der Nachbarn mit „hat seinen Grund“. So was dauert natürlich eine Zeit. Soll man die Pelzmäntel von Omi mitnehmen oder besser die alte Stereoanlage? Und so vergeht die Zeit. Man kommt gerade noch weg, bevor die Katastrophe zuschlägt.

Derweil warten alle Folgeinstitutionen auf Befehle. Man weiß zwar, was kommt, sogar viel besser als die Entscheider, denn im Gegensatz zu denen ist man für so was ausgebildet. Aber ohne Befehl kann man nichts machen. Kein Befehl – nichts getan – 1000 Tote: man ist auf der sicheren Seite. Kein Befehl – was getan – und eines von 1000 Häusern wird nicht zerstört: dann war das eine Fehlentscheidung, für das man persönlich haftbar ist. Da lebt es sich als guter Beamter doch besser in der Gewissheit, auf der sicheren Seite zu sein, denn die 1000 Toten hätte man zwar verhindern können, aber verantwortlich sind andere.

Phase V: Wasser marsch! Die Menschen trifft es teilweise mitten im Schlaf. Selbst Schuld! Hätten halt lange genug ARD und ZDF schauen sollen! Dann wären sie wenigstens mental betäubt gewesen. Nun reisst es alles weg bis zur obersten Baulinie, wo man früher aufgehört hat. Aber glücklicherweise gibt es nur 138 und nicht gleich 1000 Tote. Da fühlt man sich als Verantwortlicher doch gleich viel besser.

Phase VI: Schnelle Hilfe muss her! Die wird auch sofort von neuen Verantwortlichen, die die Chance nutzen, sich in den Vordergrund zu spielen, genutzt. Weicheier, Murkel und wie sie alle heißen, besuchen das Gebiet und erkundigen sich bei den Hilfskräften, wo und wie sie am Besten im Weg stehen können. Ist karrierefördernd. Auch für Journalisten. Eine Journalistin schmiert sich extra Lehm ins Gesicht, damit es echt aussieht. Dummerweise war die Kamera schon an.

Derweil läuft die unbürokratische Hilfe schnell an. In allen staatlichen Stellen wird in intensiven Gesprächen und Verhandlungen abgeklärt, wer alles nicht zuständig ist und warum. Dabei werden auch wichtige Fragen berührt, welches Amt nicht zuständig ist und ob ein anderes Amt nicht noch viel nicht zuständiger ist. Es geht um die wichtige Frage der Reihenfolge, in der man nicht tätig wird. Wie immer in Große-Fresse-Land werden diese Probleme professionell und fachmännisch geklärt.

Die Verantwortlichen werden nebenbei gechasst, sprich mit vollen Bezügen in den Ruhestand geschickt, um sich auf anderen Gebieten zu Ex-Perten zu mausern. Also Ministerin, Landräte und andere Leute, die man eigentlich ohnehin nicht braucht. Dafür gibt es neue, die die unnötigen Posten übernehmen. Zumindest die Verwaltung wird teurer. Ist doch schon mal was.

Wirklich helfen tun nur private Leute, die mit Gerät anreisen, um erste Hilfen zu leisten. Das ist die große Stunde der Bürokratie!! Helfen ohne Genehmigung! So geht das hier nicht in Große-Fresse-Land! Folglich wird kurzerhand vieles untersagt, u.a. auch die Unterbringung von obdachlosen Opfern in öffentlichen Gebäude und auch kurzerhand gespendete Mittel beschlagnahmt. Es könnte ja ein AfD-Wähler gespendet haben und das darf nicht. Und wie hieß es schon in den Albigenserkriegen, wie man die Ketzer erkennen könnte? „Erschlagt sie alle! Gott wird die seinen schon erkennen!“

Phase VII: unbürokratisch sollte die Hilfe für die Betroffenen sein. Viele Gelder wurden zugesagt. Aber ein Jahr nach der Katastrophe zeigt sich: die deutsche Bürokratie arbeitet weiterhin extrem effizient.

Entschädigung? Dann weisen Sie doch erst mal 1) …, 2) … , … 131) … nach – und statt der unbürokratischen Hilfe (meist ohnehin Kredit) in Höhe von 25.000 € gibt es dann bürokratisch abgesichert und damit nicht anfechtbar 231,37 €. Empörung? Wieso? Das Geld gehört doch nicht den Beamten, sondern den Bürgern, das dürfen sie doch nicht einfach so verschwenden. Sie arbeiten ja auch sonst sehr gewissenhaft:

Auf dem Marktplatz fehlt ein Pflasterstein, der ersetzt werden muss. Sofortmaßnahme: Absicherung der Fehlstelle durch Schilder und Zaun, Kosten 10.237,88 €. Die Baustellenabsicherung wird ausgeschrieben: Überholverbot, Abregelung der Geschwindigkeit auf 70 km/h, 50 km/h, 30 km/h, aussteigen und schieben, Wiederaufhebung der Beschränkung, ca. 10 Schilder für 4 Monate mieten, 6.332,18 €. Die Baumnahmen werden ausgeführt: Spezialstein 2.132.27 €, An- und Abtransport 938,17 €, Bauaufsicht 2.844,00 €, Steinsetzermeister und 25 Hilfskräfte für mehrere Tage: 4.771,17 €, Mehrpreis wegen der Verzögerung zwischen Ausschreibung und Zuschlag: 32%, Mehrpreis für zusätzliche Kosten für unverhorgesehene Problem: 12.772,04 € – und für knappe 45.000 € ist der fehlende Stein durch korrekte Beamtentätigkeit ersetzt, ohne auch nur einen Cent zu vergeuden. Und da verlangt man eine andere Handlungsweise für Geschädigte?

Phase VIII: Schöne Gegend! Da möchte man bauen. Natürlich ganz vorne mit Blick auf das Tal. Dort wurde früher nicht gebaut. Warum wohl? Keine Ahnung, aber eine Häuserreihe geht ja wohl noch und man hat ja dann auch einen unverbaubaren Blick auf’s Tal. Muss nur noch der Schutt beseitigt werden. Also wird’s genehmigt.

Phase IX: Zeit, sich auf die Schulter zu klopfen! Und pünktlich zum Jahrestag tauchen dann auch die Weicheiers, Murkel-Nachfolger und andere auf, um sich in der Presse dafür feiern zu lassen, was sie alles nicht gemacht haben. Und gefeiert werden sie. Schließlich gibt es ja Champus und Kaviar – oder halt, den nicht, denn der käme ja aus Russland. Also irgendwas anderes mit Fischeiern. Alle fressen sich durch’s Buffet, nur die Geschädigten gehen wieder leer aus.