Demokratie ist angeblich die Teilhabe des Volkes an den Geschicken des Staates. Formal erfolgt dies durch die periodische Wahl von Vertretern der Gesetzgebung und Regierung, durch Eingaben (Petitionen) an die gewählten Organe, durch Volksabstimmungen zu bestimmten Themen oder durch Demonstrationen zur Bekundung des Willens. In der Theorie ändert sich die politische Richtung durch wahltechnischen Austausch der Belegschaft oder durch ein mehr oder minder großes Eingehen der Bestimmenden auf die geäußerten Strömungen. In der Praxis gilt aber inzwischen nichts mehr davon.
Zum einen ist die Rolle der gewählten Vertreter geschrumpft. Vieles wird von der EU bestimmt, deren Exponenten aber in wesentlichen Teilen nicht gewählt sind (EU-Kommission) oder nach nicht nachvollziehbaren Mechanismen etwas beschließen (EU-Parlament), über das noch nicht einmal berichtet wird. Zwar wird das EU-Parlament gewählt, aber eine einer Partei im Bundestag entsprechende Fraktion setzt sich aus Vertreten von 26 Ländern zusammen und ist als solche bereits inhomogener als der gesamte Bundestag (warum sollte sizilianischer ein EU-Parlamentarier gegen etwas votieren, was in D die Autoindustrie lahmlegt, in Sizilien aber Geld ankommen lässt?). Formal beschließt der Bundestag solche Vorlagen als deutsche Gesetze, de fakto winkt er es durch, um den Anschein der Demokratie aufrecht zu erhalten, und wäre eigentlich gar nicht nötig. Bei Unmutsbekundungen aus dem Volk wird nur mit der Schulter gezuckt und „wir konnten nicht anders“ geantwortet.
Der Grundsatz, dass alle gewählten Vertreter in den Parlamenten Teilhabe an der Bestimmung der Geschicke haben sollen, wird ebenfalls ignoriert. Zwar war es schon immer so, dass weitgehend in geschlossenen Blöcken abgestimmt wurde und echte Gewissensentscheidungen der Parlamentarier die Ausnahme waren, aber heute sind wir in einer Situation angelangt, in der man sich noch nicht einmal mit den Argumenten auseinander setzt. Wenn eine Partei wie die AfD mit 10-20% in den Parlamenten sitzt (in anderen Ländern sieht es ähnlich aus), dann vertritt die Partei wohl einen größeren Teil der Bevölkerung als Greenpeace oder der BUND, doch werden diese Stimmen schlicht ignoriert, während die NGO mit ihren kruden Vorstellungen ziemlich viel Einfluss besitzen. Ignoranz und Mobbing führt aber – und da kann man jeden Psychologen fragen – letztlich zu Wut und Gewaltbereitschaft.
Volksabstimmungen gibt es in D nur auf kommunaler Ebene, brauchen also hier nicht weiter beachtet werden. Im größeren Rahmen sind sie schon interessant: bei den Lissabon-Verträgen zur EU gab es in einigen Staaten Volksbefragungen oder Volksabstimmungen. Die meisten gingen schief, weil sich keine Mehrheiten für die EU fanden, und wurden deshalb schlicht ignoriert. In Irland war ein Ignorieren nicht möglich, weshalb halt so lange abgestimmt wurde, bis eine Mehrheit vorhanden war. Die Ergebnisse waren jeweils knapp, was größeren Widerstand unwahrscheinlich machte, aber man muss dabei auch berücksichtigen, dass der Brexit auch aufgrund eines knappen Ergebnisses zu Stande kam. Aus „Sicherheitsgründen“ (der Ausdruck wurde von einigen Politiker tatsächlich gebraucht) verzichtet man bis heute auf eine allgemeine Abstimmung.
Petitionen richten sich direkt an die Gewählten und sollen dazu führen, dass sich die Politiker erklären. Das Petitionsrecht ist aber weitgehend ausgehöhlt. Meist werden Petitionen bereits im Vorfeld von der Bundestagsverwaltung abgeschmettert, bevor man überhaupt mit dem Sammeln von Unterstützern beginnen kann. „Das hat keine Aussicht auf Erfolg“ heißt es oft, inzwischen sogar „das könnte die Diskussion stören“. Die Petition zum UN-Migrationspakt wurde vom Bundestag über lange Zeit hinweg systematisch verhindert – ein klarer Verfassungsbruch durch das Parlament. Genützt hat sie auch nichts (sie läuft noch), weil eine Diskussion nicht stattfindet, und eine Beachtung ohnehin nicht.
Genauso ignoriert werden Demonstrationen. Findet doch eine Reaktion der Politik statt, besteht diese darin, mit den Demonstranten zu reden, um sie aufzuklären, da sie schlecht informiert sind. Es geht von vornherein nicht darum, über die Sache zu reden, sondern darum, die Leute mundtot zu machen. Wie weit die Geringschätzung für die Bevölkerung geht, zeigen in der Qualitätspresse gerne gespiegelte Aussagen von Politikern und Ministerialen, dass Ostdeutsche integriert werden müssten. Dabei werden Ausländer und Deutsche in Sachen „Integration“ in einem Satz genannt.
Zur Wahl gehen lohnt sich derzeit also nur bedingt – es muss schon erdrutschartig in bestimmte Richtungen gehen, damit sich wirklich etwas ändert. Petitionen und Demonstrationen – da kann man seine Zeit inzwischen besser bei Dschungelcamp oder einer beliebigen anderen Hartz-IV-Soap vertrödeln. So etwas wird schlicht ignoriert. Die Machtstrukturen sind inzwischen so ausgebaut, dass sich die Regierenden wie Ludwig XV aufführen und offen ihre Verachtung für das Volk ausdrücken können. Demokratische Willensäußerung – inzwischen völlig sinnlos.
Was mich auch die Überschrift bringt. Der derzeit wohl arroganteste Ludwig XV – Immitator ist vermutlich der französische Präsident Macron. Mit vermutlich gar nicht mal falschen Programmpunkten angetreten hat er sich zum Diktator gemausert, der seinen Franzosen über gnadenlose Besteuerung bestimmte Ideologien aufzwingen will. Auch in Frankreich waren die üblichen demokratischen Mittel bislang völlig erfolglos. Bis zu den Gilets jaunes. Auch die wurden zunächst ignoriert. Bis es heftiger wurde und es zu Krawallen kam und wohl auch weiter kommt. Inzwischen kommen Krawalle der Schüler und Studenten hinzu, und selbst bei der Polizei gärt es: RT Deutsch berichtet von einer Streikdrohung der Polizeigewerkschaft VIGI, was in deutschen Qualitätsmedien wieder einmal nicht auftaucht, aber auf der französischen Internetseite verifizierbar ist. Ähnlich herzhaft geht es inzwischen in Belgien zu. Zumindest die französische Regierung hat sich inzwischen genötigt gesehen, doch zu reagieren, wenn auch wieder nur mit einer Hinhaltetaktik (Verschieben der Steuererhöhungen um ein Jahr).
Merken die Regierenden nun etwas? Oder bauen sie darauf, dass man Widerstand in der breiten Bevölkerung wie seinerzeit in Griechenland ganz einfach nieder knüppeln kann? Kann man als Bürger politisch nur noch Beachtung finden, wenn man mit einem Baseballschläger auf die Straße geht und alles zusammen haut? Oder gibt es doch einen Weg zurück in die theoretische Demokratie? Ich sehe da eher Schwarz.