Der bisherige deutsche Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maassen wechselt nun doch nicht ins Innenministerium. Horst Seehofer versetzte ihn am Montag mit sofortiger Wirkung in den einstweiligen Ruhestand. In einer Abschiedsrede vor europäischen Kollegen hatte Maassen von „linksradikalten Kräften in der SPD“ gesprochen und nochmals die angeblichen Hetzjagden in Chemnitz als frei erfunden bezeichnet. Das Redemanuskript ist inzwischen so weit im Internet verbreitet, dass ich es zum Schluss des Beitrags im Wortlaut wiedergebe.
Die ganze Sache nimmt allmählich surrealistische Züge an. Fangen wir mit der Rede an. Die hat Maaßen in einer vertraulichen Runde von Geheimdienstchefs am 18.10.2018 in Warschau gehalten. Später soll das Manuskript dieser Rede im Intranet des Verfassungsschutzes einsehbar gewesen sein und wurde schließlich den Medien zugespielt, die am 5.11.2018 davon berichteten. Rein formal betrachtet ist das so formuliert doppelter Geheimnisverrat. Normalerweise macht der Chef eines Unternehmens eine vertrauliche Rede vor anderen Chefs ähnlicher Unternehmen seinen Untergebenen nicht zugänglich. Und selbst wenn, sind die Mitarbeiter der Geheimhaltung von Interna verpflichtet. Wenn man beachtet, dass es sich bei dem Unternehmen um einen Geheimdienst handelt, für den noch strengere Maßstäbe anzulegen sind, muss man wohl davon ausgehen, dass Maaßen das Bekanntwerden seiner Rede selbst lanciert hat.
Was bringt einen Geheimdienstchef dazu, sich in dieser Form selbst sein Grab zu schaufeln – mal unterstellt, dass er wirklich selbst dahinter steckt? Aus der Rede geht eine ziemliche Verbitterung über die Art, in der in Deutschland Politik und Journalismus gemacht werden, hervor. Letzten Endes sagt er nichts anderes, als dass Politik und Medien jeden Anlass wahrnehmen, frei erfundene Nachrichten wie die über die Hetzjagden in Chemnitz in die Welt zu setzen (und echte Nachrichten wie die Hetzjagden in Freiburg zu unterdrücken, Anmerkung von mir). Ich finde, man sollte ihm das glauben, denn er sitzt wesentlich näher an echten Informationen als der normale Bundesbürger. Dafür spricht auch die Schnappathmung in den Medien, die nach der anfänglichen Aufregung auch nach Äußerungen des sächsischen Ministerpräsidenten einräumen musste, dass an den Hetzjagden nichts dran war, nun aber im Gefolge der Anschläge auf Restaurants wiederum von „zweifelhaften Behauptungen Maaßens“ spricht. Der Vorwurf, ungeprüft irgendwelche Behauptungen zu verbreiten hat wohl gesessen.
Verbitterung als Grund zu unterstellen ist aber sicher deutlich zu kurz gegriffen, und ob er sich wirklich sein Grab geschaufelt hat, bleibt abzuwarten. Wie nun verlautet, soll er Seehofer um die Versetzung in den dauerhaften Ruhestand gebeten haben. Auch das sind nun mehrere Einzelschritte: Schritt 1 war seine Versetzung ins Ministerium, was einer Kaltstellung gleichkommt, denn spätestens mit Ende der Koalition hätte er sich auf der Straße wieder gefunden, wäre aber bis dahin mundtot gemacht worden. Das wollte er offensichtlich nicht. Nach der Rede (als immer noch amtierender Amtschef) war aber diese Art der Kaltstellung nicht mehr möglich. Der nächste Schritt ist die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand. Das ist möglich, aber mehr ist nicht drin, denn dazu müsste man ihm schon nachweisen, dass er aktiv die Veröffentlichung der Rede betrieben hat. Was er vor den anderen Geheimdienstchefs sagt, spielt keine Rolle, so lange das unter denen bleibt. Einstweiliger Ruhestand isoliert ihn aber immer noch: für einige Jahre bekommt er ein relativ hohes Ruhestandsgehalt, er ist aber weiter an alles gebunden, was für einen aktiven Beamten auch gilt, weil er ja wieder Verwendung finden könnte. Scheidet er aber endgültig aus, hat er auch alle politischen Freiheiten. Es bleibt daher zunächst einmal abzuwarten, was nun genau weiter passiert in diesem Schachspiel.
Zu beachten bei dem Spielchen ist noch, dass Maaßen so etwas wie der bundesdeutsche J. Edgar Hoover ist. Als (nunmehr ehemaliger) Geheimdienstchef weiß er vermutlich, wer welche Leichen im Keller liegen hat. Der ziemlich heftige Seitenhieb mit den „linksradikalen Kräften in der SPD“ kam wohl nicht von ungefähr und könnte auch als Warnung an Nahles & Co. verstanden werden. Und seine Vernetzung in den Geheimdienstkreisen dürfte hinreichend gut sein, um sein Wissen aktuell zu halten, worauf der Abschluss seiner Rede hinweist. Es könnte also durchaus noch spannend werden, wenn der ehemalige Verfassungsschützer vorhat, die Verfassung nun aus einer anderen Position heraus zu schützen.
Abschließend der Wortlauf seiner Rede.
«Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Ich möchte mich heute aus diesem Kreis nach über sechsjähriger Zugehörigkeit von Ihnen verabschieden. Manche Abschiede sind geplant, z.B. wenn der Arbeitsvertrag befristet oder wenn eine bestimmte Altersgrenze erreicht ist, wie bei unserem Freund Rob, andere Abschiede sind nicht geplant und etwas überraschend, wie bei mir.
Die Vorsitzenden der drei Parteien, die die Bundesregierung in Deutschland bilden, Frau Merkel, CDU, Herr Seehofer, CSU, und Frau Nahles, SPD, hatten am 23. September beschlossen, dass ich als Präsident des Bundesverfassungsschutzes abgelöst werden soll. Damit ist eine Regierungskrise in Deutschland beendet worden. Die SPD hatte mit einem Bruch der Koalition gedroht, wenn ich weiter im Amt bleiben würde.
Hintergrund der Regierungskrise war die Tatsache, dass ich am 7. September gegenüber der grössten deutschen Tageszeitung ‹Bild-Zeitung› die Richtigkeit der von Medien und Politikern verbreiteten Berichte über rechtsextremistische ‹Hetzjagden› bzw. Pogrome in Chemnitz in Zweifel gezogen hatte. Am 26. August 2018 war ein Deutscher von Asylbewerbern in Chemnitz getötet worden. Am gleichen Tage gab es Demonstrationen in Chemnitz gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung von normalen Bürgern aber auch von Rechtsextremisten. Dabei kam es vereinzelt zu Straftaten. Am folgenden Tag und an den darauffolgenden Tagen stand nicht das Tötungsdelikt im politischen und medialen Interesse, sondern rechtsextremistische ‹Hetzjagden gegen Ausländer›. Diese ‹Hetzjagden› hatten nach Erkenntnissen der lokalen Polizei, der Staatsanwaltschaft, der Lokalpresse, des Ministerpräsidenten des Landes und meiner Mitarbeiter nicht stattgefunden. Sie waren frei erfunden.
Ich habe bereits viel an deutscher Medienmanipulation und russischer Desinformation erlebt. Dass aber Politiker und Medien ‹Hetzjagden› frei erfinden oder zumindest ungeprüft diese Falschinformation verbreiten, war für mich eine neue Qualität von Falschberichterstattung in Deutschland. Ich hatte mich in der darauffolgenden Woche gegenüber der ‹Bild-Zeitung› in nur vier Sätzen dazu geäussert, indem ich klarstellte, dass es nach Erkenntnissen aller zuständigen Sicherheitsbehörden keine derartigen rechtsextremistischen ‹Hetzjagden› gab. Gegenüber den zuständigen Parlamentsausschüssen stellte ich in der folgenden Woche klar, dass ein Kampf gegen Rechtsextremismus es nicht rechtfertigt, rechtsextremistische Straftaten zu erfinden. Die Medien sowie grüne und linke Politiker, die sich durch mich bei ihrer Falschberichterstattung ertappt fühlten, forderten daraufhin meine Entlassung. Aus meiner Sicht war dies für linksradikale Kräfte in der SPD, die von vorneherein dagegen waren, eine Koalition mit der CDU/CSU einzugehen, der willkommene Anlass, um einen Bruch dieser Regierungskoalition zu provozieren. Da ich in Deutschland als Kritiker einer idealistischen, naiven und linken Ausländer- und Sicherheitspolitik bekannt bin, war dies für meine politischen Gegner und für einige Medien auch ein Anlass, um mich aus meinem Amt zu drängen.
Aufgrund des schon erwähnten Beschlusses der drei Parteivorsitzenden werde ich mein Amt aufgeben, sobald ein Nachfolger bestimmt ist. Dies wird voraussichtlich in den nächsten Wochen der Fall sein. Bundesinnenminister Seehofer, der mich und meine Position in dieser politischen Auseinandersetzung sehr unterstützte und dafür selbst viel Kritik von den Medien erfuhr, möchte mich als seinen Berater bei sich behalten. Ob und unter welchen Bedingungen dies stattfinden soll, wird im Einzelnen in den nächsten Wochen geklärt werden müssen. Jedenfalls kann ich mir auch ein Leben ausserhalb des Staatsdienstes zum Beispiel in der Politik oder in der Wirtschaft vorstellen. Ich hätte nie gedacht, dass die Angst vor mir und vor der Wahrheit Teile der Politik und Medien in solche Panik und Hysterie versetzt, dass vier Sätze von mir ausreichend sind, um eine Regierungskrise in Deutschland auszulösen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es fällt mir schwer, mich nach sechs Jahren von Ihnen zu verabschieden. Ich habe diesem Kreis sehr gerne angehört und habe in allen Sitzungen und bei allen Gesprächen ein hohes Mass an Kollegialität und an Solidarität festgestellt. Ich habe festgestellt, dass wir die gleichen Ziele haben, die gleichen Werte teilen und gegen die gleichen Gegner von Freiheit und Demokratie kämpfen. Ich bin der Auffassung, dass wir in den letzten sechs Jahren viel erreicht haben. Viel auch für die Sicherheit meines Landes. Ich habe in den letzten Jahren viel Unterstützung von Ihnen erfahren bei der Lösung unserer nationalen Sicherheitsprobleme und ich habe mich immer bemüht, Sie auch bei Ihrer Arbeit zu unterstützen, damit Ihre Länder und Europa sicherer werden. Ich möchte Ihnen für all das danken. Danken möchte ich Ihnen auch für die vielen persönlichen und freundschaftlichen Momente, die ich erfahren durfte. Ich würde mich sehr freuen, auch nach dieser Zeit mit manch einem von Ihnen persönlich und privat in Kontakt bleiben zu können.
Zuletzt möchte ich die Bitte äussern, dass Sie mit meinem Nachfolger die Zusammenarbeit in gleich intensiver Weise partnerschaftlich fortsetzen.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!»