Kapitel 12: Lernt man etwas aus der Vergangenheit?
Geschichte wiederholt sich nicht, was in der Regel stimmt. Aber Muster wiederholen sich. Und aus Mustern kann man lernen, um vergleichbare Situationen besser zu meistern. Bekommt die Menschheit es hin, aus 5000 Jahren dokumentierter Geschichte zu lernen?
Wir haben gesehen, dass mit größer werdender Bevölkerungsdichte auch Aufgaben entstanden, die auf Familien- oder Clanebene nicht mehr zu lösen waren und zur Bildung von Staaten führten. „Geschichte“, wie sie in den Büchern beschrieben wird, ist in der Regel eine Geschichte von Staaten, und auch wenn auf Kultur und andere Sachen eingegangen wird, wird im Grunde die Geschichte eines Staates beschrieben, weniger der Menschen. Oder besser: der einfachen Menschen, denn die historische Untersuchung, welche Schauspiele in einer bestimmten Epoche gerade „en vogue“ waren, betrifft meist nur den Teil, der sich als Elite betrachtet und selbst zum System Staat gehört. Unter Bezug auf das letzte Kapitel: befragt zu einer modernen Inszenierung von Wilhelm Tell werden zwar viele ehrfürchtig mit dem Kopf nicken, hineingesetzt aber denken „was soll denn dieser Schwachsinn?“, womit allerdings die Inszenierung gemeint ist und nicht das Schillersche Original.
Wir haben auch gesehen, dass Herrscher und Priester (allgemeiner: eine Oberschicht) die Entwicklung ausnutzten, um sich von der Masse der Untertanen abzusetzen und sie mehr oder weniger (meist sogar noch mehr) auszubeuten. Staaten streben auf, auch weil sie von der breiten Bevölkerung unterstützt werden, Staaten stagnieren, weil der Bevölkerung der Staat gleichgültig wird, da sie gefühlt oder wirklich nicht profitieren, und Staaten gehen ein, weil das Unterdrückungsgefühl übermächtig wird. So weit werden diese Zyklen von den Historikern erkannt. Die Frage ist allerdings, ob darunter auch weitere Mechanismen am Werk sind, die in der Politik berücksichtigt werden sollten.
Der Blick in die Geschichte zeigt, dass die Kerngebiete der Staatsentstehung meist statisch an einem Ort bleiben. Ein Staat entsteht, ein Nachbarstaat entsteht noch schneller, überzieht aus irgendwelchen Gründen Staat 1 mit Krieg und verleibt ihn sich ein, zerfällt seinerseits nach einiger Zeit, und auf den Territorien entstehen brav wieder Staat 1 und Staat 2. Manchmal lief dieser Prozess relativ moderat ab, wenn etwa Staat 2 Staat 1 nach der Einverleibung strukturell bestehen ließ, manchmal recht brutal, wenn Staat 2 ein ausgesprochener Militärstaat war, der die anderen gewaltsam unterdrückte. Militärstaaten müssen in der Regel wachsen, weil die Unterhaltung des Militärs sonst nicht möglich ist, und übernehmen sich dadurch häufig, was zum Zusammenbruch, in manchen Fällen zum vollständigen Verschwinden führt.
Was hält nun eine Bevölkerung zusammen, um zum Kern eines neuen Gebildes zu werden, was beschleunigt zentrifugale Entwicklungen? Man kann unschwer drei Ursachen fest machen: (1) Eine gemeinsame Sprache, (2) eine gemeinsame Kultur, (3) eine gemeinsame Religion.
Fangen wir hinten an, denn die Religion ist leider nach wie vor die Quelle allen Übels. So lange sie ernst genommen wird, spielen selbst die Kriterien (1) und (2) nur eine Nebenrolle. In alten Vielgötterreligionen war das noch relativ unkritisch, weil sie sich in fast allem viel zu ähnlich waren, aber mit den fundamental anders ausgerichteten modernen Religionen Christentum, Islam, Judentum, Buddhismus und Hinduismus sieht das völlig anders aus. Selbst in Regionen, in denen Jahrhunderte ein halbfriedliches Nebeneinander herrschte, gehen die Anhänger unterschiedlicher Religionen aufeinander los, wenn es woanders brennt. Ins Christentum und den Islam geschaut haben auch sehr viel geringere Unterschiede genügt, seit der Frühzeit Mord und Totschlag in größerem Umfang innerhalb einer Religion auszulösen. Beispiele müssen wohl kaum aufgezählt werden.
Sehr wichtig ist auch eine gemeinsame Sprache. Sie ermöglicht es nicht nur, spontanen Kontakt zu anderen Menschen aufzunehmen, sondern auch ohne explizite Kontaktaufnahme ein Kontrollgefühl zu erzeugen. Kontakte zwischen verschiedensprachigen Leuten sind, genauer betrachtet, bei aller immer wieder beschworener Herzlichkeit und Freundlichkeit von einer ziemliche Distanziertheit und Unsicherheit gekennzeichnet. Man bekommt nicht viel mit, fühlt sich isoliert (und ist es auch, denn die Gegenseite denkt auch nicht anders) und bildet lieber mit Leuten, die man versteht, ein Ghetto im fremden Land. Im umgekehrten Sinn konspiriert man im Problemfall mit den eigenen Leuten und möchte im Sinne eines Friedens die anderen wieder loswerden. Staatsgebilde haben sich daher immer wieder um eine Sprachgruppe gebildet und Fremde ausgeschlossen.
Spricht man die gleiche Sprache, weil etwa die schwächere Gruppe die Sprache der stärkeren lernt und ebenfalls spricht. Bleibt immer noch die Kultur als Grenze, wobei mit Kultur nicht Schauspiel und Opern gemeint sind, sondern der tägliche Umgang miteinander. Gleichberechtigung von Mann und Frau verträgt sich nicht mit prügelndem Patriarchismus, eine offene Rechtsgesellschaft nicht mit einer geschlossenen Clanstruktur, usw.
Es gibt zwar Beispiele, wo Verschiedenes irgendwann doch zusammen gewachsen ist, weil der äußere Druck oder andere Umstände zu Kompromissen gezwungen hat, von einer Seite oft mehr als von der anderen. Interessanterweise verhindert es aber ein Zusammenwachsen bereits, wenn eine Gruppe sich Kompromissen sperrt, was den Gedanken einer Integration, der in der anderen Gruppe kreist, ad absurdum führt. Man kann niemanden integrieren, der nicht will, man kann sich aber auch nicht seinerseits bei den Verweigerern integrieren, sondern sich höchstens unterwerfen und seine Prinzipien vollständig aufgeben. Bei Kleinigkeiten kann es im günstigen Fall zu einer gegenseitigen Toleranz kommen, bei fundamentalen Differenzen bleibt selbst das meist aus, und die Fronten verhärten sich eher als aufzuweichen, weil die tolerante Seite irgendwann den Sinn einer Toleranz nicht mehr sieht (siehe auch unten: Gruppendynamik). Und auch bei einer gewissen Toleranz: ein echtes „Zusammen“ wird auch daraus nicht entstehen.Ich lasse das einfach mal so stehen, und die Leser seien eingeladen, im Kommentarbereich Antithesen zu formulieren und diese zu diskutieren, wenn sie damit nicht einverstanden sind.
Wenn wir diese Gedanken zurück verfolgen, handelt es sich bei diesen Verhaltensweise nicht um praktizierten Rechtsextremismus, wie heute gerne behauptet wird, sondern die psychologischen Grundlagen sind in den Ursprüngen der Menschheit angelegt und dienen dem Überleben. In den frühen, noch kleinen und nur wenig organisierten Gesellschaften war ein sehr starkes „Wir“ die Voraussetzung für das Überleben der Gruppe, und zeitlich sind wir bei weitem noch nicht genügend von diesem Stadium entfernt, um die Instinkte genetisch umzuprogrammieren.
Hinzu kommt noch ein gruppendynamischer Effekt. Immer wieder wird betont, der Mensch sei auch sozial und altruistisch, also zur Hilfe bei anderen bereit. Das ist korrekt. Im Notfall wird in den meisten Fällen Hilfe geleistet (falls kein Handy zum Filmen des Desasters zur Verfügung steht; sich wichtig zu machen hat leider zu oft Priorität). Altruismus beruht allerdings auf dem Gegenseitigkeitsgedanken: der andere soll mir später in ähnlichen Situationen auch helfen und seine Bereitschaft dazu durch Dankbarkeitssignale anzeigen. Falschspieler müssen aus dem Spiel ausgeschlossen werden, was auf denkbar einfachste Weise erfolgt. Die von der Natur gewählte und in Experimenten als optimal erkannte Strategie lautet: kooperiere beim ersten Mal und verhalte dich beim nächsten Kontakt so wie dein vorhergehender Kontakt. So erstaunlich das klingt, mit kleinen Variationen funktioniert das, führt aber auch zu Gruppenhaftung. Konkret: man hilft einem Afrikaner, der die Hilfe mit Betrug vergilt, und misstraut fortan jedem Afrikaner, dem man begegnet. Aus der spontanen Offenheit wird Verschlossenheit, und der andere muss sich erst beweisen, um akzeptiert zu werden. Der Mensch entwickelt aus Erfahrung gut bestätigte Vorurteile, um sich selbst zu schützen.
Von diesen Mustern ausgehend haben die Menschen anscheinend wenig bis nichts gelernt. Kann eine EU als neuer Gesamtstaat funktionieren? Nach den Mustern ist die Antwort ein eindeutiges NEIN. Können Moslems und Christen friedlich miteinander auskommen? Nach den historischen Erfahrungen auf längere Sicht ebenfalls ein eindeutiges NEIN, wenn keinerlei Weichen wie jetzt gestellt werden (und selbst dann müsste man es bezweifeln). Kann ungesteuerte Immigration funktionieren? Ghettobildung, Sprachverweigerung und Kulturverweigerung lassen ebenfalls nur ein eindeutiges NEIN zu. Ich halte die Situation für ungemein gefährlich, da die Politik mehr oder weniger die Bildung von allen Arten von Parallelgesellschaften fördert, was zwangsweise zum Crash führt. Anekdotenhaft notiert: deutsche Angehörige anderer Etnien regen sich unterstützt von linken Politikern und Journalisten über den Rassismus Urdeutscher auf, wenn diese nach dem Herkunftsland fragen (das wäre dann beispielsweise Hamburg und nicht Sierra Leone) oder die Beherrschung der deutschen Sprache loben, statt sich über ihre ethnischen Genossen zu echauffieren, die durch ihre Verweigerung diesen gruppendynamischen Effekt erst zu erzeugen.
Die Chancen stehen also mehr als gut, dass das stetige Auf und Ab der Geschichte mit den brutalen Nebenwirkungen weiter geht. Vielleicht kommt es diesmal noch schlimmer, weil das Potential der Zuwanderung aus Afrika von der Politik völlig ignoriert wird und die Einwandernden, ob gesteuert oder ungesteuert, auf eine in jeder Beziehung weitgehend entwaffnete Urbevölkerung stößt.
Fortsetzung? Vielleicht.