Armutszeugnis Straßenverkehr

Was haben die Städte Leer, Emden, Aurich, Varel, Bremervörde, Hamburg und Lübeck gemeinsam? Das sind die Städte, durch die ich in den letzten Tagen gefahren bin, und das Spektrum reicht von Mini-Städten mit ein par 10.000 Einwohnern bis zur Millionenstadt. Gemeinsam ist allen: egal, auf welcher Strecke man durch sie hindurch fährt und zu welcher Uhrzeit das passiert, man muss an jeder Ampel anhalten, weil die pünktlich auf Rot springt, sobald man sich ihr nähert. „Wirklich jeder“ wäre vielleicht übertrieben, aber an 8-9 von 10 Ampeln steht man. Dabei ist es völlig egal, ob man auf der „Hauptstrecke“ fährt oder von einer „Nebenstraße“ einbiegt – nach 100 m ist Schluss, denn es ist rot (oft schon nach weniger).

Vor 30-40 Jahren gab es mal ein Verkehrskonzept namens „Grüne Welle“. Zusätzliche Anzeigen teilten dem Fahrer mit, ob er 30, 40 oder 50 km/h schnell fahren sollte, und in der Regel kam man damit bei Grün an der nächsten Kreuzung an. Heute lässt sich leider kein Konzept mehr hinter der Ampelschaltung erkennen, selbst wenn es sich nur um 4-5 Ampeln auf einen halben Kilometer handelt, es sei denn, man unterstellt bei der Schaltung das Konzept der maximal möglichen Behinderung.

Zugegeben, es ist heute sicher komplizierter als früher, besonders in den Großstädten. Der Verkehr hat zugenommen, die Zahl der Ampeln ebenfalls. Andererseits ist es heute auch einfacher als früher, da intelligente Schaltungen zur Verfügung stehen – zumindest in der Theorie. Wenn man an eine Kreuzung kommt, an der nacheinander alle vier Einmündungen einzeln auf grün geschaltet werden, um den Verkehr jeweils in alle Richtungen abfließen zu lassen, kann man an der Intelligenz schon zweifeln, wenn eine Straße eine Minute lang stumpf auf grün geschaltet wird, obwohl dort noch nicht mal ein Skateboard unterwegs ist.

Allerorten ist von KI (künstliche Intelligenz) die Rede, und dass genau das die Zukunft Deutschlands ist: der Einsatz solcher innovativer Techniken. In Bezug auf den Straßenverkehr kann man den undurchsichtigen und pompösen Begriff auch durch „selbstoptimierendes System“ ersetzen. Man muss nur die Optimierungsparameter und Grenzparameter vorgeben, also beispielsweise „maximaler Fahrzeugdurchsatz“ (der Parametersatz ist sicher deutlich komplizierter und wird auch Zusammenhänge berücksichtigen müssen) oder „maximale Standzeit eines Fahrzeugs“ (auch hier kann es weitere Kriterien geben), den Rest macht eine Software, die dabei auch lernt, wie sich die unbekannte Größe, der Autofahrer, verhält. Ob eine zentrale Lösung (alle Ampeln werden von einem System verwaltet) oder eher eine dezentrale (mehrere Systeme, die nur wenige Ampeln verwalten, ergänzen sich) besser funktioniert, würde sich ebenfalls erweisen. Die Grundprinzipien sind alle nicht besonders neu, und die heutige Rechnertechnik macht es zu überschaubaren Preisen möglich, alles in Echtzeit zu bearbeiten (tatsächlich ist KI mehr oder weniger eine Hardware-Schöpfung, denn erst die schnellen Rechner machen vieles wirklich möglich. Es wird aber lieber so getan, als sei das was furchtbar neues, weil das medienwirksamer ist).

Warum wird das, von dem alle Dumpfbacken meinen, es handele sich um die Zukunft Deutschlands, nicht dort eingesetzt, wo die Probleme hochkochen, wie im Straßenverkehr? Zu teuer? Sicher, wenn man Siemens damit beauftragt, so etwas zu entwickeln, denn irgendwie müssen ja auch die Vorstandsgehälter bezahlt werden. Und auf die Idee, solche Unternehmen die Produkte, die sie dann weltweit verscherbeln können, auf eigene Kosten entwickeln zu lassen kommt die deutsche (verfilzte) Politik natürlich genauso wenig wie die eigenen Ressourcen zu nutzen. Nahezu jede Hochschule sollte eigentlich in der Lage sein, solche Software zu entwickeln, und die notwendige Infrastruktur wie Kontaktschleifen und Verkehrskameras sollte bereits weitestgehend vorhanden sein. Die Ampelphasen extern zu steuern dürfte wohl ebenfalls kein Problem sein (die Sicherheitsverriegelungen vor Ort würde dadurch ja nicht aufgehoben). Zu verschlechtern wäre wohl kaum etwas, aber die handelsüblichen „rechtlichen Probleme“ dürften wie andernorts so ziemlich alles Sinnvolle verhindern.

Auch sonst sind die Regelungen des Straßenverkehrs so sinnlos wie möglich. Jeder weiß, dass Fahrzeuge bei gleichmäßigem Tempo 70-90 km/h am wirtschaftlichsten fahren und auch das Vorankommen der Passagiere zeitlich im grünen Bereich ist. Das hindert aber kaum eine Verkehrsbehörde daran, den Verkehr auf Tempo 30 km/h zu drosseln, LKW auf Landstraßen nur 60 km/h fahren zu lassen (viele fahren glücklicherweise schneller), bei jeder Einmündung auf Landstraßen die Geschwindigkeit für 150 von 100 km/h auf 70 km/h zu begrenzen, in Autobahnbaustellen nur 50 km/h zuzulassen, Kreisverkehre in 250 m Abstand zu bauen, weil dort noch zwei Feldwege einmünden, die Geschwindigkeit ca. 300 m vor dem Kreisverkehr von 100 km/h auf 50 km/h zurück zu nehmen (Bremsweg bei 50 km/h ≤ 10 m) oder gar einen Kreisverkehr mit Ampeln zu versehen, die alles noch mehr aufhalten. Obendrein hat offenbar jede lokale Verkehrsbehörde noch die Möglichkeit, sich ihren Unsinn selbst auszudenken, d.h. was im Kreis Wesel gilt, gilt im Kreis Emsland noch lange nicht. Psychologisch reizt gerade diese überbordende Bevormundungswut deutscher Behörden die Autofahrer dazu, sich an vieles eben nicht zu halten, was besonders dann fatal ist, wenn eine Regelung tatsächlich einmal Sinn macht. Das kann man als Fahrer nämlich nicht mehr unterscheiden.

Völlig daneben auch die derzeitige Umleitungswut auf Landstraßen. 100 m vor der Totalsperrung (was anderes geht derzeit wohl nicht mehr) ein einzelner Hinweis, dass die Strecke zwischen Oppelhof und Wilmersau gesperrt ist. Leider weiß man nicht, ob man auf dem Weg nach München dort durch muss, weil das Navi das nicht anzeigt, während im Problemfall das Navi die Umleitung nicht erkennt und einen spronstreichs in die Baustelle zurück führt. Dabei wären die meisten Navis in der Lage, Sperrungsmeldungen zu empfangen und beim Routing zu berücksichtigen. Allerdings bekommen das die Verwaltungen selbst auf den Hauptstrecken nicht hin: „auf der B 72 keine Baustelle“, so das zuständige niedesächsische Landesbauamt, und kurz hinter der Anschlussstelle zur A 28 steht man dann vor einer Vollsperrung. Und das auch noch, wenn man einen Monat später wieder die Strecke fährt. Klasse!

Es sind diese eigentlich recht einfachen Sachen, die zeigen, dass sich Deutschland auf dem Niedergang befindet. Noch nicht mal die Klospülung funktioniert, aber allerorts große Fresse, dass einem der Duft der großen weiten Welt vom Örtchen entgegen weht.