Beleidigung

Jemanden öffentlich zu beleidigen ist eine gefährliche Sache. Wenn man vor 200 Jahren beispielsweise jemandem die Frau ausspannte und das öffentlich bekannt wurde – man verletzte seine Ehre und beleidigte ihn damit – gab es 3 Möglichkeiten:

  1. Man war gegenüber dem Beleidigten nicht satisfaktionsfähig (z.B. Bauer gegen Adeligen), worauf der letztere ein paar kräftige Knechte losschickte, die den Übeltäter kurzerhand erschlugen.
  2. Der andere war vom gleichen Stand und man forderte ihn auf Degen oder Pistolen zu irgendeiner schaurigen Stunde in Gegenwart von Zeugen auf irgendeiner Wiese am Waldrand.
  3. Man versprach dem Übeltäter eine regelmäßige Pension, wenn er mit dem Frauenausspannen weitermachen würde und war froh, die garstige Alte endlich vom Hals zu haben. Falls er nicht darauf eingehen wollte, weil ihm der Charakter der Frau auch schon aufgegangen war, blieb 1. oder 2.

Der Nachteil dieser Wiederherstellung der Ehre, besonders im Fall 2: die Chance, dass der Beleidigte anschließend noch Leben oder Gesundheit verlor, war etwa 50:50. Weshalb man irgendwann im 19. Jahrhundert den §185 StGB erfand, der die Bestrafung auf die Gerichte verlagerte.

Es dauerte auch nicht lange, bis politische Kreise begriffen, dass man Strafverfahren auch anders nutzen kann: Otto von Bismarck erstattete in der ersten Phase der Reichsgründung um 1870 Unmassen von Strafanzeigen wegen Beleidigung, aktenkundig belegt beispielsweise gegen einen im Kreise seiner Kumpanen zechenden Schustergesellen, der etwas laut bemerkte „B. kann mich am Arsch lecken!“, was am Nachbartisch ein ehrbarer Denunziant mitbekam usw. usw. Bismarck hat bis auf eine alle diese Strafanzeigen selbst unterschrieben, auf der einen aber eine Randnotiz hinterlassen, aus der klar hervorgeht, dass es ihm nicht um Beleidigung ging, sondern um mundtot machen der Kritiker (Quelle: Otto Pflanze, Bismarck, Band 1).

Um das zu verstehen, muss man das Verfahren kennen: die Staatsanwaltschaft muss eine Akte anlegen und die Sache prüfen, wozu auch eine Vernehmung des Beschuldigten gehört. Der kann aussagen, die Aussage verweigern oder einen Anwalt einschalten. Auf jeden Fall ist das unangenehm und da man nicht weiß, wo das genau endet, ist erst einmal Schluss mit Kritik.

Schustergeselle – da wird es vorzugsweise die Klientel der Vorläufer der heutigen SPD erwischt habe, wie der Leser richtig vermutet. Obwohl man den Genossen so viel Intelligenz eigentlich gar nicht zutrauen darf, scheinen sich einige an die Bismarck-Methode zu erinnern und überziehen nun heute ihre Kritiker mit solchen Anzeigen. Das können in ein paar Monaten auch schon mal über 100 werden, wie auf achgut nachzulesen ist. Es genügt, einen Kommentar der Art

Köstlich ! Der Mann erreicht ja auf der nach oben offenen Stegnerskala rekordverdächtigte Höhen. Das kann eigentlich nur an seiner Vita liegen, die zeigt, dass er einer dieser Menschen ist, die sich voll und ganz einer Sache widmen. Arbeiten ist da bisher noch nicht vorgekommen‘ – hindert natürlich auch nur bei der Konzentration auf unser Bestes. Er strebt, wie es scheint, eine astreine ABBA-Karriere an. (Abitur-BAföG-Bundestag­Altersrente). Dennoch fehlt mir Hr. Kahrs, der wie sein Nachfolger nach meiner Meinung ein heißer Aspirant auf den Vollpfosten des Monats ist (und zwar eigentlich ständig – das muss man erst einmal leisten) bei den Kollegen von Science Files …

https://www.achgut.com/artikel/lindh_laesst_klagen

unter einem Artikel zu hinterlassen und der Betroffene fühlt sich so beleidigt, dass er eine Strafanzeige erstattet. Was tun, wenn man der Betroffene so einer Anzeige ist?

Für den Straftatbestand einer Beleidigung ist notwendig, dass eine Person eindeutig mit der Beleidigung in Verbindung gebracht werden kann. „Herr … ist ein Vollpfosten“ ist ziemlich eindeutig, die obige Formulierung deutlich nicht, denn semantisch ist „Vollpfosten des Monats“ ein Titel, auf den sich nicht nur jeder bewerben kann, sondern den notfalls mangels anderer Kandidaten auch Albert Einstein bekommen könnte. Zudem sind seit Bismarck auch einige Bremsen eingebaut worden: nachgewiesermaßen ist ein Großteil der heutigen Politikerkaste nicht gerade üppig mit geistigen Gaben und Kenntnissen ausgestattet, was der politischen Satire einigen Raum einräumt. Höhere deutsche Gerichte legen die Messlatte dessen, was man einem Politiker, der sich ja freiwillig nach vorne drängt und nicht unfreiwillig Zielscheibe des Spotts wird, zumuten darf, gerade mit Blick auf Äußerungen grüner Politiker*innen inzwischen erstaunlich hoch. Satire steht aber jedem zu und selbst der direkte Vollpfosten dürfte heute nicht unbedingt strafwürdig sein.

Neben einer einzelnen Person kann man auch eine Gruppe pauschal strafwürdig beleidigen. Das Kürzel ACAB (all cops are bastards) beispielsweise verunglimpft die Polizei als Ganzes und das Schmieren dieser Parole auf eine Hauswand ist gerichtlich attestiert eine Straftat. Möglicherweise bekommt das gerade auch Saskia Eskens von der SPD zu spüren, die die Polizei insgesamt als rassistische Truppe bezeichnet hat, was ihr eine Strafanzeige wegen Beleidigung und Volksverhetzung einer Gruppe farbiger deutsche Polizisten beschert hat.

Etwas komplizierter wird es bezüglich der aktuellen Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen. Auch hier hat Frau Eskens die Demonstranten pauschal als „Covidioten“ bezeichnet, eine klare Beleidigung. Eine Anzeige hat allerdings niemand erstattet und man kann nun darüber sinnieren, ob nun nicht Frau Eskens einen Grund für eine Beleidigungsklage hat, weil anscheinend von ca. 1 Mio Demonstranten sie kein einziger für satisfaktionsfähig (= wichtig genug, um auf so etwas zu reagieren) hält.

Also halten wir mal fest: eine Person oder eine Gruppe muss eindeutig mit einer Beleidigung verknüpft sein. Satirische Nebenbemerkungen, die sich auf alle und jeden beziehen können und viel Spielraum lassen, sind da weniger geeignet. Dazu gehören auch so genannte Stoßseufzer: „Ich könnte ihn umbringen!“ macht den Sprecher zwar verdächtig, wenn der Betreffende tatsächlich hinterher tot ist, dürfte aber kaum für eine präventive Ermittlung wegen Tötungsabsicht genügen, genauso die genervte Frage „Sind denn alle verrückt geworden?“.

Was tun, wenn trotzdem die Polizei anruft und über das Vorliegen einer Strafanzeige informiert? Schließlich muss sie das ja zunächst. Drei Optionen hätte man:

  1. Zur Sache aussagen. Sollte man nicht tun. Nicht wenige reden sich dabei um Kopf und Kragen und geben der Anzeige erst den Grund. Wenn der beanstandete Text die Formulierung „Jeder Idiot meint, tun und lassen zu können, was er will“ enthält und der Anzeigende den Idioten auf sich bezieht, könnte beispielsweise der Satz „wem der Schuh passt, der zieht in sich an“ in der Vernehmung fallen, womit man dann verloren haben dürfte.
  2. Nichts aussagen. Das ist das gute Recht jedes Beschuldigten. Die andere Seite ist beweispflichtig. Man muss seine Unschuld nicht selbst beweisen.
  3. Einen Anwalt einschalten. Ab einer gewissen Stufe des Verfahrens sollte man das tun und den sich äußern lassen, anstatt selbst etwas zu sagen. Nur kostet das Geld. Ein Anwalt, der Akteneinsicht nimmt, bekommt dafür ungefähr 500 € laut Gebührenordnung. Auf denen bleibt man sitzen, wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellt. Und damit hätte der Anzeigende sein Ziel voll erreicht: den Kritiker eingeschüchtert und geschädigt. Ab wann ein Anwalt sinnvoll ist, ist also abzuwägen. Sicher nicht, wie viele Anwälte behaupten, bereits beim ersten Kontakt. Viele seriöse Anwälte dürften auch eine zunächst kostenlose Ersteinschätzung anbieten.

Also zunächst bei 2. bleiben, 3. angehen, wenn es wirklich droht, Ernst zu werden und 1. nur, wenn der Anwalt das abnickt. Auch wenn der Beginn solcher Verfahren martialisch wirkt, viele Verfahren werden eingestellt, wenn keine Aussicht auf Erfolg besteht.

Notfalls kann man aber auch selbst zurückschlagen, wenn man nur satirisch argumentiert hat und das Verfahren trotzdem weitergeführt wird. Da gibt es nämlich noch den §164 StGB, „falsche Verdächtigung“. Bei Politikern, die unter Umständen ganze Aktenschränke der Staatsanwaltschaften mit ihren Strafanzeigen füllen, die in den meisten Fällen satirische Bemerkungen betreffen dürften, liegt der Verdacht nahe, dass diese Leute nicht die Ahndung einer Beleidigung im Sinn haben, sondern sich an den Kritikern rächen und sie mundtot machen möchten. Das wäre ein deutlicher Missbrauch rechtsstaatlicher Strukturen, dessen Abstellung vermutlich auch im Sinn des einen oder anderen Staatsanwalts sein dürfte.

Trotzdem kann sich ein Staatsanwalt bemüßigt fühlen, eine Sache weiter zu verfolgen. Das kann natürlich gerechtfertigt sein. Als Beschuldigter kann man seine Sache anderen Leuten zur Einschätzung vorlegen und wenn dann 10 von 10 mit „Häh? Wo ist da die Beleidigung?“ reagieren, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass im Falle eines Falles ein Richter genauso reagiert. Kommt noch hinzu, dass das Verfahren von einem relativ hochrangigen Politiker ausgeht, steht bei der Nähe der Justiz zur Politik auch die Möglichkeit im Raum, dass die Ermittler nicht ganz so selbstlos agieren wie sie sollten. Wenn man sich (ziemlich) sicher ist, dass es sich nicht um eine Beleidigung handelt, besteht auch die Möglichkeit, wegen des Verdachts des Verstoßes gegen §344 StGB (Verfolgung Unschuldiger) das Verfahren unter die Lupe nehmen zu lassen.


Kleine Randbemerkung: wenn ich mir so anschaue, was in Sachen Corona-Demo oder Klima in diesen Tagen wieder so abgeht, befürchte ich, dass man schwere Beleidigungen begeht, wenn man eine ganze Menge Leute NICHT als völlig durchgeknallt und schwachsinnig bezeichnet.