Als Deutscher ist man traditionell gehalten, die Taten des Hitler-Regimes persönlich verantworten zu müssen, auch in der 2., 3. oder 4. Generation. Obwohl immer wieder behauptet wird, jeder hätte gewusst, was da abläuft, hat die systematische Untersuchung ergeben, dass vieles eher geheim gehalten wurde. Der normale Reichsbürger kann sich zwar vermutlich nicht davon freisprechen, das eine oder andere mitbekommen zu haben, aber einen systematischen Gesamtüberblick dürfte in der Realität nur eine Minderheit gehabt haben. Und selbst wenn man voraussetzt, dass sich der Einzelne auch einiges zusammenreimen hätte können, zeigt gerade der Umgang mit der Corona-Zeit, wie wenig solche Annahmen mit der Realität zu tun haben.
Aufgewachsen mit der Parole „nie wieder!“ kann man sich vielfach des Eindrucks nicht erwehren, dass für den Umgang Israels mit den Palästinensern in Gaza eher die Parole „noch mal!“ zutrifft. Selbstverteidigung ist eine legitime Sache, aber jeder weiß auch, dass es als schwere vorsätzliche Körperverletzung geahndet wird, tritt man dem am Boden liegenden Angreifer noch einmal voll ins Gesicht. Und genau dieses Eindrucks kann man sich nur schwer erwehren, wenn man eine hochgerüstete Militärmaschine auf Frauen und Kinder losgehen sieht und der Zugang zu lebenswichtiger Infrastruktur wie Nahrung, Wasser und medizinischer Versorgung versperrt wird. Und wenn solche Informationen von den UN-Hilfswerken stammen, kann man sich auch nicht mehr dahinter verstecken, dass es sich um Hamas-Propaganda handelt.
„Nie wieder!“ trifft also auf „noch mal!“ und erwartet wird medial-gesellschaftlich eine eher jubelnde Zustimmung als eine kritische Handlung. Im Gegenteil: eine kritische Haltung, verbunden mit einer Diskussion, ist in Deutschland unmöglich, steht man doch auch als leiser Kritiker halbwegs mit einem Bein im Knast wegen des Vorwurfs des Antisemitismus und der Volksverhetzung. Viele dürften das Problem deshalb in sich hinein fressen, um keine Risiken einzugehen, während diejenigen, für die ein Palästinenser gar nicht tot genug sein kann – und von denen gibt es nicht wenige, wenn man sich im Netz umschaut – das Sagen haben. Psychisch gesund ist beides nicht, wie Psychologen bestätigen werden.
Wenn folglich der Antisemitismus steigt, wobei dieser Begriff eher eine Allzeckwaffe als ein wirklich definierter Begriff ist, ist das kaum verwunderlich. Warum soll man Scham für etwas empfinden, wenn andere anscheinend genau das gegenüber Dritten praktizieren, für das man sich schämen soll? Warum soll man jemandem die Hand reichen, der einem vorwirft „deine Eltern haben meine Verwandten umgebracht“, während er gleichzeitig die Verwandten von anderen umbringt, mit denen man auch zusammen leben soll/muss?
Das eigentliche Problem ist das strafbewehrte Nicht-darüber-sprechen-dürfen. Wie so vieles andere, über das man sich nicht frei auslassen kann, führt das bestenfalls in eine innere Emigration, schlimmstenfalls in neuen Hass. Man kann Gefühle nicht befehlen, aber man kann durchaus durch falsche Handlungen dafür sorgen, dass genau das gegenteilige Gefühl dessen, was man fordert, erzeugt wird. Und irgendwann betrifft das nicht nur die Verursacher, sondern eine Gruppe insgesamt, von denen viele gar nichts dafür können. Siehe Gaza und Israel, wo sich der Hass mehr und mehr auf einer persönlichen Basis verselbständigt, wie dieser Artikel
in Haaretz zeigt, hier zitiert:
Das war noch vor einiger Zeit anders.