Ein Blick auf Russland

Wie vermutlich die meisten mitbekommen haben, kracht es im Gebälk der russischen Militärmaschine. Dazu ein kurzer Blick auf (und hinter?) die Kulissen.

Die russischen Truppen in der Ukraine sind (anscheinend) etwas unkonventionell aufgestellt. Neben der regulären russischen Armee sind die Donezker und Lugansker Regionalverbände aktiv. Die operierten vor dem „Anschluss“ der Gebiete an Russland unter eigener Führung und wurden dann unter russischer Führung „eingegliedert“, jedoch scheinen die Gouverneure der Gebiete immer noch einiges Mitspracherecht zu haben, wenn man die Meldungen (auf nicht-deutschen) Kanälen interpretiert. Verständlich, denn persönliche Loyalitäten lockert man nicht so leicht.

Zwei weitere Kampfeinheiten sind zwar ebenfalls in die russische Gesamtführung integriert, aber ihre „Führer“ haben einen großen Einfluss und die Loyalität der Truppen gilt eher den eigenen Führern als dem russischen Führungskommando: die Wagner-Truppe von Evgeni Progozhin und die tschetschenische Achmat-Truppe von Ramzan Kadyrow. Alle stehen wiederum loyal zu Vladimir Putin, was man im Westen nicht so wirklich wahr haben möchte.

Russische Gesamtführung heißt nun, dass insgesamt fünf Verbände logistisch versorgt und taktisch-strategisch geführt werden müssen. Das Sagen haben der russische Verteidigungsminister Schoigu und der Oberbefehlshaber Süd Waleri Gerasimov. Und da fängt das Problem offenbar an: der russischen Militärführung passt es offenbar nicht, tatsächlich nur über die russische Armee zu verfügen, nicht aber über die Elite-Einheiten von Wagner und Kadyrow. Gerasimov wird zwar in der Ukraine als militärisches Genie gehandelt, scheint aber in der Realität eher Intrigen als der effizienten Führung zugeneigt – so zumindest die Chefs der Eliteeinheiten.

Schon bei der Einnahme von Marjinka, für die die Tschetschenen federführend waren, gab es Knatsch: Kadyrow drohte wegen mangelnder Unterstützung seine Einheiten mitten im Gefecht abzuziehen. Das Gleiche wiederholte sich in Bachmut, als Wagner-Chef Prigozhin drohte, auch seine Truppe mitten im Gefecht abzuziehen. Grund war beide Male, dass die angeforderte Unterstützung durch die russische Armee anscheinend ausblieb und die Verluste sich häuften. Schoigu/Gerasimov wurde Unfähigkeit vorgeworfen, aber möglicherweise steckte eher das Kalkül dahinter, die ziemlich unabhängigen Verbände zu schwächen und die eigene Kontrolle zu vergrößern.

Mit den Tschetschenen scheint man sich arrangiert zu haben, schließlich steckt eine ganze Nation dahinter. Wagner ist eine private Organisation, da hat man weniger Hemmungen. Anscheinend – da kann man derzeit nur mutmaßen – gab es Übergriffe der russischen Armee auf die Wagner-Truppe. Zumindest behaupten einige der Wagner-Söldner, von der russischen Armee beschossen worden zu sein (und nicht von der ukrainischen). Prigozhin reichte es anscheinend und er zog mit einem Teil seiner Truppe nach Rostow, wo er die russische (Militär-)Verwaltung lahm legte, und weiter über Woronesh in Richtung Moskau. Forderung anscheinend: Schoigu und Gerasimov müssen weg. Wunschkandidaten hat man auch und es sind anscheinend die gleichen, die auch Kadyrow im Auge hatte, nämlich die Generäle, die zuvor die Kampagne geleitet haben.

Putin gab sich hart und der Westen frohlockte bereits über einen Bürgerkrieg in Russland, was aber wohl eine völlige Fehleinschätzung war. Wie ein Deus ex machina erschien der weißrussische Präsident Lukaschenka auf dem Plan und handelte zwischen Putin und Prigozhin einen Deal aus, nach dem Wagner nach Belarus übersiedelt, alle straffrei ausgehen und der größte Teil der Wagnertruppe das Angebot bekommt, sich bei der russischen Armee einzuschreiben. So weit der Stand heute.

Was kann man nun daraus schließen?

Die Loyalität der Wagner-Leute gehören Prigozhin und Putin, wie man beispielsweise ->hier nachlesen kann. Sie empfinden sich als russische Patrioten und wurden in Rostow und anderswo von der Bevölkerung eher als Helden empfangen und versorgt denn als Verräter.

Die Reibungen zwischen Wagner-Truppen und russischer Armee waren eher marginal. Eigentlich zu marginal für eine Nation im Krieg, die jederzeit mit ukrainischen Sabotagekommandos rechnet. Auch die Kadyrow-Truppe, die den Wagners hinterher geschickt wurde, war auffallend passiv.

Die Karte Lukaschenka wurde dermaßen schnell und erfolgreich gespielt, dass man wohl eher an ein abgekartetes Spiel denken muss als an eine schnelle erfolgreiche Vermittlung. War da etwas zwischen den (zumindest einstmaligen) Intimfreunden Putin und Prigozhin vereinbart? Etwa eine Teilabsetzbewegung der Wagner-Truppe, um anderswo tätig werden zu können und eine Möglichkeit für Putin, eine irgendwo entglittene Kontrolle wiederzugewinnen?

Die Berichte über das Verhalten der Zivilbevölkerung sollte die westliche Politik als Warnung verstehen. Es lässt sich zwar schlecht beurteilen, ob das repräsentativ ist, aber die Leute stehen zu den Ukraine-Kämpfern und zu Putin als Führungsperson und sind ausgesprochene Patrioten. Sich mit so einem Volk anzulegen ist ausgesprochen unklug und gefährlich. Es wird Zeit, die Scharfmacher und Hetze hier zu Lande kalt zu stellen und zu Verhandlungen zurück zu kommen.