Die falsche Art zu denken

Der eine oder andere, der dem Blog hier oder auch anderen folgt, wird sich vielleicht denken: „Ok. Der Brands glaubt dem Drosten nicht, sondern lieber dem Bhagdi. Aber jeder darf eine eigene Meinung haben und deshalb glaube ich dem Drosten.“ Wenn man fragt, warum, kommt vielleicht die Antwort „Ich verstehe nichts davon, also muss ich einem glauben und kann mir frei meine Meinung bilden.“

Ähnliche Argumentationen findet man auch bei vielen anderen Themen wie dem Klima, der Luftverschmutzung, der Energieversorgung usw. Bei allem darf man sich heute eine eigene Meinung erlauben und sich damit herausreden, dass man selbst zu wenig von der Materie versteht. Wer so denkt, hat allerdings nicht verstanden, worum es beispielsweise mir oder auch Leuten wie Bhagdi geht. Es geht um die prinzipielle Art zu denken und das sei zeitlich passend an der Corona-Grippe erklärt.

Denkschemata

Als es los ging, wusste keiner wirklich, was da auf uns zukommt. Eine normale Grippe oder tatsächlich ein Killervirus. Aus recht dürftigen Informationen musste man eine Einschätzung generieren, also sich tatsächlich im wahrsten Sinne des Wortes eine Meinung bilden. Mutmaßlich haben dabei natürlich die Fachleute die Nase vorne, da sie an mehr Informationen kommen oder wissen, wo sie sich welche beschaffen können. Wer sich an dem Punkt vorzugsweise von Medienberichten beeinflussen ließ, musste naturgemäß zu anderen Schlussfolgerungen kommen als andere, die sich nur die nüchternen Zahlen anschauten, teilweise auf der Basis jahrzehntelanger Erfahrung. Da kamen dann Drosten und z.B. Wodarg auf völlig andere Einschätzungen. Bis dahin ist noch alles unkritisch. Wer mit seiner Einschätzung schließlich besser liegt, zeigt sich, wenn man abwartet, wie sich die weitere Lage entwickelt, allerdings ohne Eingriffe vorzunehmen. Eigentlich muss das zu diesem Zeitpunkt niemanden interessieren.

Problematisch wird es allerdings, sobald Eingriffe vorgenommen werden wie in diesem Fall. Denn die unterschiedlichen Einschätzungen führen naturgemäß zu unterschiedlichen Maßnahmen. Natürlich gibt es in solchen Fällen dann jemand, der eine Entscheidung treffen muss, und das waren in diesem Fall nicht Wodarg oder Bhagdi, sondern Drosten, der die Maßnahmenempfehlung natürlich aufgrund seiner Einschätzung/Meinung erarbeitet hat.

Hier kommen wir zum ersten grundsätzlichen Fehler: zwar treffen unterschiedliche Einschätzungen aufeinander, aber in diesem Fall hängen die Einschätzungen von messbaren Größen ab. Und das ist der Punkt, auf den man als Betrachter achten muss. Es existieren zwei Typen von messbaren Größen:

  1. Vorhandene Messgrößen, hier die aktuellen Fallzahlen und Zahlen aus früheren ähnlichen Ereignissen.
  2. Messungen, die man vornehmen sollte, um die Sachlage zu klären.

Man muss als Betrachter nicht alles verstehen, um halbwegs sicher beurteilen zu können, ob sich alle auf die gleichen vorhandenen Messgrößen beziehen. Hier hätte man hellhörig werden müssen, selbst wenn man nicht in der Lage ist, die Daten auszuwerten. Die Hauptargumentationen waren:

  • Die Corona-Grippe zeigt einen mit früheren Epidemien übereinstimmenden Verlauf und unterscheidet sich nicht von einer normalen Grippe.
  • Es handelt sich um ein neuartiges sehr gefährliches Virus.

Die verschiedenen Protagonisten haben definitiv über lange Zeit (bis heute?) nicht über die gleichen Messgrößen geredet. Der Denkfehler: man könne sich einer Meinung anschließen. Aber das stimmt nicht. Grundvoraussetzung für ein Vertrauen in die eine oder andere Einschätzung ist, dass alle von der gleichen Sache reden. Immerhin hängt davon ja auch eine Menge ab (Lockdown).

Wer hat in einem solchen Fall die Nase vorne? Auch die Unterscheidung unterliegt nicht einer Meinungswillkür, sondern folgt einer Logik. In diesem Fall ist derjenige, der behauptet, es handele sich um eine neuartige Situation, in der Bringschuld: wenn andere halbwegs verständlich zeigen, dass es sich anscheinend nicht um etwas Neues handelt, muss er nachweisen, warum es doch außergewöhnlich ist. Man muss nicht alle Details verstehen, aber den grundsätzlichen Argumenten dürfte jeder folgen können. Vielleicht wird man wissensmäßig wieder abgehängt, wenn das Neue sich erst noch in bestimmten Auswirkungen zeigen soll, aber das wäre erst einmal modellmäßig zu entwickeln und den Rest macht die Zeit. Die Frage, die sich jeder stellen muss: Drosten & Co vertreten die Ansicht des „neuartigen gefährlichen Virus“. Haben sie das tatsächlich aufzeigen können?

Als kleiner Einschub an dieser Stelle: Die ganze Diskussion ist ziemlich medienverseucht. Bilder aus Norditalien und aus anderen Orten implizieren auf den ersten Blick das Neuartige. Allerdings nicht das Neuartige am Virus, sondern zunächst einmal das Neuartige an der Berichterstattung. Im Grunde bewegt man sich an der Stelle im Kreis und das gilt es zu erkennen. „Das war früher auch so, wurde aber eben nicht gefilmt.“ ist ein zu beachtendes Argument, ebenfalls „die Fälle wurden bisher medizinisch anders gehandhabt und die jetzige Behandlungsmethode ist problematisch“. Sind die Bilder also wirklich ein Beweis, wenn man frühere Ereignisse hinzu zieht und berücksichtigt, dass die Medien ihre Bilder auch in Richtung Schockwirkung optimieren, um gegenüber anderen Medien die Nase vorn zu haben?

Bei den Messungen des Typs 2 ist die Sachlage leichter zu entscheiden. Man muss nämlich nur zuhören. Wenn sich Wissenschaftler streiten, ist der Streit durch ein Experiment entscheidbar und über kurz oder lang wird einer mit Messstrategien aufwarten, um seine Einschätzung bestätigt (oder widerlegt) zu sehen. Die kamen hier zu Hauf, allerdings nicht aus dem Hause Drosten. Der widersetzte sich vielen Messvorschlägen, wobei er dann allerdings in der Pflicht ist, zu begründen, warum er das nicht will oder warum das nicht geht, zumindest nicht kurzfristig. Hier hat das RKI-Team aber ganz schlechte Karten, denn echte Begründungen hat es nicht geliefert.

Fazit: Wenn man diesen Denkschemata folgt, landet man mehr oder weniger zwangsweise bei begründetem Misstrauen gegenüber den RKI-Empfehlungen. Damit muss man natürlich nicht richtig liegen. Vielleicht hat man doch etwas falsch verstanden oder etwas nicht mitbekommen. Aber man hat eine Liste, auf der die Kritikpunkte stehen. Es ist jetzt an Drosten & Co die Irrtümer gerade zu rücken, wenn welche bestehen sollten. Wenn sie wissen, um was es geht, ist es für einen Fachmann meist einfach, das zu klären, wobei die Argumentation „dazu fehlen Ihnen die Kenntnisse“ eher noch misstrauischer machen müssen.

Zugegeben, nicht jeder landet bei dem gleichen Maß an Misstrauen. Leute mit ähnlichem fachlichen Hintergrund werden logische Fehler in der einen oder anderen Argumentation finden können, die weniger geschulte Personen nicht erkennen können. An der grundsätzlichen Tendenz sollte das aber nichts ändern: Irgendetwas stimmt bei dem ganzen RKI-Zauber nicht.

Methodische Fehlleistung

Wenn man sich der RKI genauer anschaut, besteht seine Aufgabe darin, ziemlich viele Krankheiten methodisch zu beobachten und statistisch zu erfassen. Es sammelt also Daten ein, wertet die aus und gibt schließlich Bulletins heraus, mit was man zukünftig zu rechnen hat und wie man vorsorgen kann, damit alles unter Kontrolle bleibt.

Dazu hat das RKI sehr viel Zeit, da normalerweise nichts gesteuert werden muss. Wenn ein Grippe-Epidemie zuschlägt, liegen die letzten Daten vielleicht erst im Spätherbst vor; lediglich Empfehlungen zu Impfstoffen müssen früher ausgesprochen werden. Bei dieser Aufgabe bleiben viele Bereiche, die nicht berücksichtigt werden müssen und in denen das RKI folglich auch allenfalls geringe eigene Kompetenzen aufweisen muss. Andere Bereiche sind zwar wichtiger, aber die Zuarbeit erfolgt durch externe Kompetenzen.

Nun stand plötzlich eine ganz andere Situation ins Haus: In einer laufenden Epidemie mussten Empfehlungen ausgesprochen werden, die direkte immense Auswirkungen auf die Gesellschaft haben. Das vorläufige Ergebnis kennen wir, zuletzt mit einem Masken- oder besser Mund-und-Nase-Bedeckungs-Gebot. Gerade das letzte Gebot ist ein typisches Beispiel für Rin-in-die-Kartoffeln-raus-aus-die-Kartoffeln. Masken sind als Schutz gegen Infektionen geeignet – Masken nützen bei den kleinen Erregern gar nichts – Masken sind für Gesunde eher schädlich als nützlich – Masken schützen andere – mit Masken schützt man sich selbst – es genügt, in die Armbeuge zu niesen oder zu husten – Masken sind nützlich, aber erst in 5 Tagen – Infizierte sollten Masken tragen – Masken haben nur Symbolcharakter – jeder kann infiziert sein, aber man merkt es nicht, deshalb Maske für alle – … solche Kommentare konnte man in kunterbunter Reihenfolge aus dem Hause RKI bekommen, wobei medizinische Masken vielleicht noch irgendeinen Sinn machen, ein lockeres Tuch vor Mund und Nase aber sicher deutlich weniger.

War die Sachlage so verworren? Oder weist das auf Kompetenzprobleme im Hause RKI hin? Das lässt sich von Außen nicht beurteilen, jedoch wurden Messungen zu den Infektionswegen nun ausgerechnet nicht vom RKI angeschoben, sondern als Eigeninitiative anderer Forscher. Betrachtet man die Situation etwas breiter unter Einschluss der unterschiedlichen Einschätzungen, wird deutlich, dass Drosten & Co. „business as usual“ betrieben haben. Sie haben die gleiche Betrachtungsweise an den Tag gelegt, die sie auch an den Tag legen, wenn sie viel Zeit haben („Untersuchungen zu den Todesursachen erfolgen später“ u.a.), und haben für ihre Empfehlungen nur ihre eigene Einschätzung zu Grunde gelegt und dabei mutmaßlich auch über ihren eigenen Kompetenzbereich hinaus operiert, ohne sich externe Kompetenzen zu Hilfe zu holen.

Anders ausgedrückt: das RKI war mutmaßlich durch die Situation überfordert, die Protagonisten haben aber anscheinend nicht das Format, auf ihre Überforderung aufmerksam zu machen und Hilfe anzunehmen.

Politische Fehler

Letztlich sprechen die Fachleute nur Empfehlungen aus. Was davon umgesetzt wird, entscheidet die Politik. Wenn die Politiker richtig ticken, können Fehler auf den Vorstufen geglättet werden. Das können auch intellektuell weniger begnadete Leute, wie man sie leider heute fast durchweg in der Politik findet. Sie müssen aber richtig ticken und leider muss man feststellen: sie tun es nicht.

Zwei Erkenntnisse müssten sich bei den Entscheidern schnell breit machen:

  1. Das RKI verfügt gar nicht über die notwendigen Kompetenzen, beispielsweise die wirtschaftlichen, soziologischen oder psychologischen Folgen ihrer Empfehlungen bewerten zu können.
  2. Das RKI besitzt selbst in seiner Kernkompetenz nicht die Fähigkeit, alle wichtigen Aspekte zu integrieren.

Zum ersten Punkt ist anzumerken, dass zwar die „dramatischen Bilder aus Norditalien, Madrid und New York“ gerne von Drosten & Co in den Mund genommen wurden, um Werbung für ihre Empfehlungen zu machen, es ihnen aber völlig entgangen zu sein scheint, dass nun sehr viele Menschen völlig alleine gestorben sind (auch nicht-Corona-Infizierte) und den Angehörigen die Möglichkeit der Trauer genommen wurde.

Es ist zwar nicht sicher zu beurteilen, aber die Politik scheint keinerlei andere Berater zu wirtschaftliche oder gesellschaftlichen Folgen hinzu gezogen zu haben. Kritik kam jeweils von Außen und wurde gemeinsam von RKI und Politik abgebügelt – beide ohne die notwendige Kompetenz, aber eben mit der Möglichkeit, alles erfolgreich zu ignorieren.

Alleine die immer wieder auftauchende Kritik in den Kernkompetenzen des RKI hätte die politische Ebene veranlassen müssen, im RKI für Ordnung zu sorgen oder andere Institutionen über das gesetzlich vorgesehen RKI heran zu ziehen. Hat sie nicht – ein extrem schwerer Fehler der Entscheidungsebene.

Bei der einen oder anderen Maßnahme kann man sogar auf den Gedanken kommen, dass die Kompetenzprobleme beim RKI dafür ausgenutzt wurden, ohne jegliche Eigenkompetenz irgendwelche Verordnungen zu erlassen, die selbst mit sehr viel Fantasie kaum einen medizinischen Sinn ergeben.

Die Maskenverordnung, die 5 Tage Zeit bis zur Tragepflicht lässt, ist ein Beispiel. Masken mögen Mangelware gewesen sein, aber zugelassen sind auch einfache Tücher, und die hätten sofort zur Verfügung gestanden. Welchen Sinn es macht, Leute aus ihrer Zweitwohnung zu werfen, weiß vermutlich auch keiner. „Wenn du jetzt nicht abreist, musst du hier bleiben“ hätte auch genügt. Warum Blumengeschäfte schließen müssen, Baumärkte aber nicht, und im nächsten Bundesland die Regelungen genau umgekehrt sind – wer die Antwort weiß, darf sie behalten.

Auf ganz böse Gedanken kann man kommen, wenn das RKI seine Meinung („Masken sind nur ein Symbol“) in dem Augenblick ändert („Masken schützen“), in dem die Politik wieder etwas neues beschließt („ab Montag allgemeine Maskenpflicht“).


„Was ist denn nun Sache?“ kann man sich abschließend fragen. „Weiß nicht genau, vermutlich …“ muss man zugeben. Je nach persönlichem Bildungshintergrund wird „nicht genau“ eine größere oder kleinere Menge Unsicherheit sein und man muss sich nun tatsächlich „seine Meinung“ bilden in dem Sinn, ob man „dem Unfug“ mit Murren und Widerstand oder den „sinnvollen Maßnahmen“ aus Überzeugung nachkommt. Bevor man dahin kommt, sollte man aber die notwendigen Fragen gestellt haben:

  • Verwenden alle die gleichen Grundlagen und einigen sich über notwendige Messungen?
  • Besitzen die einzelnen Protagonisten die notwendigen Kompetenzen für die Sachen, über die sie reden oder entscheiden?
  • Sind die Protagonisten Teamplayer oder Egomanen?
  • Entscheiden die übergeordneten Institutionen nach sinnvollen Regeln oder spielen sie ein eigenes undurchsichtiges Spiel?