Die Welt ist seit 1990 für den europäischen Bürger einfacher geworden. Man kann Waren aus aller Herren Länder beziehen, und meistens harmonieren sie miteinander. Freien Handel nennt man so etwas.
„Freihandel“ ist zwar trotzdem allen Fortschritts mit allerhand unsinnigen Hürden verbunden. So entzieht sich meinem Verständnis, warum Waren, die beispielsweise in den USA auf Unbedenklichkeit geprüft sind, hier einem erneuten Zulassungsverfahren unterworfen werden, das sie möglicherweise nicht bestehen (und umgekehrt). Chlorhühner haben anscheinend noch keinen einzigen Amerikaner umgebracht, also besteht eigentlich kein Grund für das Geschrei der Gesundheitsgefährdung, das hier angestellt wird. Eine entsprechende Kennzeichnung würde eigentlich genügen, damit jeder für sich selbst entscheiden kann, ob er ein US-Chlorhähnchen oder ein mit Gen-Mais-Mast produziertes Schnitzel kaufen möchte oder nicht. Aber statt mit Produkten und Innovation konkurrieren Staaten bislang lieber darum, welcher ihrer Politiker das größte Ego aufzuweisen hat.
Trotz allem hat das eine Weile recht gut funktioniert. Ohne Produkte aus Fernost sähen die Geschäfte hier inzwischen eher so aus wie in der ehemaligen DDR, und die Neue Seidenstraße der Chinesen, die den Handel (oder die Abhängigkeit von China, je nach Sichtweise) fördern soll, endet inzwischen eisenbahnmäßig in Duisburg. Seit einiger Zeit gibt es aber zunehmend mehr Sand im Getriebe.
Seit dem Anschluss der Krim an die russische Föderation ist Russland DER Buhmann für alles, bis hin zu verlorenen Wahlen, die die Parteien nicht der Bräsigkeit ihrer Führung zuschreiben, sondern einer Wahlbeeinflussung durch Russland. Seitdem wird Russland mit Wirtschaftssanktionen belegt, die allerdings die Westeuropäer vermutlich mehr getroffen haben als die Russen. Handel wäre zwar gut, aber Russland ist groß genug, seine Probleme selbst zu lösen oder sich bei anderen Partnern zu bedienen. Inzwischen sind die Energielieferungen der Russen im Visier der USA und ihrer EU-Höflinge, und bei Fracking-Gas ist man anscheinend weniger wählerisch als beim Chlorhühnchen.
Weiteres Ziel der Energieblockbildung ist der Iran, der inzwischen halbwegs isoliert ist. Die Mullahs sind zwar nicht besonders angenehm, aber das sind die Saudis auch nicht. Geht es dabei wirklich um eine Gefährdung Israels? Oder nur um die Ausschaltung eines unabhängigen Wettbewerbers auf dem Energiesektor? Ließe man den Iran prosperieren, wäre dies vermutlich besser: wer etwas zu verlieren hat, wird offener und fängt keinen Krieg an; wer nichts mehr zu verlieren hat, wird hingegen unberechenbar.
Die Energieblockbildung merken wir aber nur indirekt: Gas- und Spritpreise steigen kräftig, und zwar unabhängig von den Steuern, die noch obendrauf gepackt werden sollen. Die Amerikaner haben allerdings auch einen Handelskrieg mit den Chinesen begonnen, der zu spürbaren Veränderungen führen und jeden zu gewissen Entscheidungen nötigen könnte. Damit meine ich nicht irgendwelche Zollgeschichten auf Stahl und andere Waren, sondern die Ausweitung des Krieges auf die IT-Branche, d.h. auf die Grundlage der modernen Gesellschaft und Wirtschaft.
Die Anfänge – Ausschließen von Huawei vom Telekommunikationsbackbone 5G und anderem – sind noch relativ unsichtbar, außer vielleicht wieder in Preisen und Realisierungszeiten. Gefördert werden die US-Anbieter, die lästige Konkurrenz loswerden, und außer den USA selbst spielen zumindest Australien, Neuseeland und teilweise die EU bereitwillig mit. Nun hat aber das US-Handelsministerium verfügt, dass US-Technologie, d.h. Hard- und Software, nicht mehr in chinesischen Produkten eingesetzt werden darf. Hört sich vielleicht harmlos an, ist es aber nicht:
Google bzw. der Mutterkonzern hat Huawei bereits die Android-Lizenzen entzogen. Im Klartext: neue Handys werden nicht mit dem Google-Android-Betriebssystem ausgeliefert und haben auch keinen Zugriff auf den App-Store und andere Google-Produkte (alte Handys werden weiter bedient). Der Handy-Markt spaltet damit auf: Huawei wird zwangsweise mit eigenen Produkten rauskommen, z.B. mit einer eigenen Version von Android, das ja OpenSource ist, und mit einem eigenen App-Store, der dann beispielsweise neben ApplePay und GooglePay auch HuaweiPay beinhalten könnte. Neben GoogleMaps könnte BaiduMaps oder YandexMaps treten, denn die Russen sind auch im AppMarkt recht stark vertreten und dürften die Chance nutzen, in sich öffnende Marktlücken einzubrechen.
Auch der Rechnermarkt ist betroffen. Intel u.a. dürfen Bauteile nicht an chinesische Unternehmen verkaufen, obwohl sie vielleicht sogar dort gefertigt werden (Handys sind nicht betroffen, da die Chinesen bereits jetzt eigene Produkte haben), und komplette PCs werden vielleicht nicht mehr mit MS-Windows ausgeliefert (MicroSoft hat sich noch nicht geäußert), sondern möglicherweise mit irgendeiner Linux-Variante, was nun auch nicht das Schlechteste wäre.
Die Zersplitterung auf den unteren Ebenen würden auch weiteren Wettbewerbern Marktchancen eröffnen: neben Amazon dürfte Alibaba versuchen, sich auch hier zu etablieren, genauso wie der russische Internethändler Beru, der Alibaba in Russland gerade auf Platz zwei zu verweisen versucht (erste russische Konkurrenz zu Aldi und Lidl gibt es im Einzelhandel ja bereits).
Der Schuss der Amerikaner wird damit möglicherweise nach hinten losgehen. Zwar wird der US-Markt abgeschottet, gleichzeitig öffnen sich aber anderswo Märkte, die dann an den Amerikanern vorbei gehen. Chinesen und Russen sind groß und mächtig genug, das zu stemmen, und wie bei den Sanktionen gegen Russland sind wegfallende Märkte gerade auf solchen Gebieten dauerhaft verloren.
Interessant wird es bei uns. Apple wird wohl weiterhin die Snob-Marke bleiben, aber im preiswerteren Segment wird man sich möglicherweise zwischen zwei grundsätzlich verschiedenen Varianten entscheiden müssen: Samsung oder Huawei. Die zentralen Apps der sozialen Netzwerke wird es voraussichtlich auf allen Plattformen geben, aber im Detail können sich schon Unterschiede bemerkbar machen. Bleibt abzuwarten, ob man die Entscheidung dem Nutzer überlässt (der vermutlich wie immer viel zu blöd ist, sich überhaupt Gedanken über so etwas zu machen) oder die USA via EU versucht, weitere Handelshemmnisse zu diktieren und die EU-Staaten unter Kontrolle zu halten.